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Gedanken für den Tag
Susanne Heine über Darwin: Der ambivalente Mensch
Gott und die Insekten - Zum 140. Todestag von Charles Darwin
von Susanne Heine, Religionspsychologin und evangelische Theologin
21. April 2022, 06:56
Beim Waldspaziergang zeigt sich die Natur von ihrer idyllischen Seite. Aber wenn ich Naturfilme schaue, bin ich geschockt, wenn eine Löwin eine Gazelle zerreißt oder ein Krokodil einen ganzen Reiher verschluckt. Aber so ist das, fressen und gefressen werden. Alle Lebewesen müssen sich ernähren, um zu leben, und jedes hat seinen Fressfeind. Grausam, aber die Natur kennt eben keine Moral.
Auch der Mensch hat seine Schlachthäuser, aber unsere Spezies kann noch grausamer sein. Sie verschafft sich nicht nur Nahrung, sondern kämpft auch um eigene Größe, um Macht und Profit weit über den Bedarf, kämpft um nationale Identität. Dafür werden Regenwälder niedergebrannt, Volksgruppen verfolgt, Länder überfallen. Der Anthropologe Ernest Becker nennt den Menschen das symbolische Tier, das alle tierische Grausamkeit übertreffen kann, bis zum Genozid.
Aber der Mensch kann noch etwas anderes, das er mit keinem Tier gemeinsam hat: über sich selbst nachdenken, mit anderen sprechen, Sprachen lernen, sich über Gefühle oder den Sinn des Lebens austauschen. Ich sehe das als Gabe, aber auch als Verpflichtung, einander
zu helfen: Brot für Hungernde, ein Dach über dem Kopf für Geflüchtete. So geschieht es auch, wenn wir wollen. Und wenn nicht? Denn ganz so frei ist der Wille nicht, wenn das symbolische Tier zuschlägt. Hier greift die weltweise Bibel ein - mit ihren Geboten: Du sollst deinen Nächsten und die Fremden lieben wie dich selbst - und schützen, denn sie sind wie du.
Darwins Frau nimmt an der Arbeit ihres Mannes regen Anteil. In einem Brief zitiert sie ihn. Du sagst, "glücklicherweise gebe es keinen Zweifel darüber, wie man handeln sollte." Nein, widerspricht sie ihm, das wissen wir leider nicht immer. Nur diesen einen Brief hebt Darwin auf; manchmal küsst er ihn. Darwin ist auch ein sehr genauer Beobachter seines eigenen seelischen Innenlebens und bedauert zum Ende seines Lebens, seinen "Mitgeschöpfen nicht mehr direkt Gutes getan" zu haben.
Service
zur Bibel und ihren Geboten:
Lev 19,18; Mt 22,39; Mk 12,31; Lk 19,27; Röm 13,9; Dtn 10,19
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Franz Liszt 1811 - 1886
Titel: Die Loreley/Transkription für Klavier
Textanfang: Ich weiß nicht, was soll das bedeuten
Solist/Solistin: Elisabeth Leonskaja
Länge: 08:05 min
Label: Amadeo 4239922