Die Neobürokratie und die Logik der alten Welt

29. April 2022, 13:00

"Auf einen Kreativen kommen heute 99 Verwalter", meint der Buchautor und Publizist Wolf Lotter. Die gute Verwaltung, die nötig ist, um den privaten und öffentlichen Sektor effektiv und menschenfreundlich zu organisieren, ist mit einer "bösen, einer destruktiven Schwester" konfrontiert - der Neobürokratie. In den Unternehmen und Organisationen, in der halböffentlichen und öffentlichen Administration werden immer mehr bürokratische Schleifen und Barrieren gezogen, die Qualität zu sichern vorgeben, aber Veränderung und Innovation verhindern. Das primäre Ziel der Neobürokratie sei der Selbsterhalt. Kreativität und Selbstverantwortung der Mitarbeiter:innen würden da nur stören. So würden keine Probleme gelöst, sondern Probleme verwaltet und deren Lösung auf die lange Bank geschoben.

Wolf Lotter schreibt Grundsatzwerke zu den großen, anstehenden Veränderungen in Arbeit, Organisation und Kultur. Eine in den letzten Jahren entstandene Buch-Trilogie analysiert die Transformation vom Industriezeitalter zur Wissensgesellschaft - insbesondere hinsichtlich Arbeitsorganisation und menschlichem Selbstbild. "Wer heute die Welt verstehen will", schreibt er in seinem jüngst erschienenen Buch mit dem Titel "Unterschiede", "der darf alles, nur nicht normal sein!" Normalität orientiert sich an Routine, Althergebrachtem, an der Logik und den Denkwerkzeugen des Industriezeitalters, die davon ausgehen, dass jeder Mensch im Produktionsprozess ersetzbar ist. Das sei nicht nur respektlos und den Menschen unwürdig, sondern gehe auch vollkommen an den Erfordernissen und Möglichkeiten der neuen vernetzten Arbeitswelt vorbei. Nicht Austauschbarkeit und Gleichmacherei organisieren die neuen Arbeitsprozesse, sondern Einmaligkeit, Selbstverantwortung und ein bunter Individualismus, der die Fähigkeit zur Unterscheidung voraussetzt. Wer unterscheidet, wird die Vielfalt erkennen, die nötig ist, um den gesellschaftlichen und unternehmerischen Herausforderungen von heute lösungsorientiert begegnen zu können. Das viel strapazierte Wort Diversität - Diversity - ist für Wolf Lotter der Schlüssel für Innovation und die Etablierung der Wissensgesellschaft von morgen. Ab Mai wird Wolf Lotter als Vertreter des Neos Lab Mitglied im ORF Publikumsrat sein.

In Punkt eins diskutiert Andreas Obrecht mit Wolf Lotter und mit den Hörer:innen über die Thesen und zentralen Ideen seines neuen Buches "Unterschiede". Das Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, die Logik der alten Welt des Industriezeitalters hinter uns zu lassen und in eine Zukunft der kreativen Selbstverantwortung einzutreten, in der die Lösung unserer gesellschaftlichen, sozialen und auch individuellen Herausforderungen nicht mehr an kontrollierende Verwaltungsinstanzen delegiert werden kann.

Wie immer freut sich die Punkt eins Redaktion über rege Beteiligung an dem Gespräch, unter 0800 22 69 79 telefonisch während der Sendung oder unter punkteins(at)orf.at

Service

Bücher:
Wolf Lotter (2018): Innovation: Streitschrift für barrierefreies Denken.
Wolf Lotter (2020): Zusammenhänge: Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen.
Wolf Lotter (2022): Unterschiede. Wie aus Vielfalt Gerechtigkeit wird.
Alle drei Bücher sind in der Körber Edition, Hamburg erschienen.

Hinweis:
Bei Austrian Standards kann man ÖNORMEN kaufen und auch kostenlos Einsicht nehmen, zum Beispiel an Ort und Stelle in den Informationsstellen (in allen Bundesländern).

Sendereihe

• Punkt eins

Gestaltung

• Andreas Obrecht