Novalis, Staalstich vom Friedrich Eduard Eichens (1845), Ausschnitt

GEMEINFREI

Gedanken für den Tag

Die Nachtseiten des Menschlichen

Die Geburt der Moderne im Geist der deutschen Romantik - Zum 250. Geburtstag von Novalis von Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschafter

"Abwärts wende ich mich zu der heiligen, unaussprechlich geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt - in eine tiefe Gruft versenkt - wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. (...) Muss immer der Morgen wiederkommen? Endet nie des Irdischen Gewalt?"

Novalis "Hymnen an die Nacht" beschwören eine andere Welt, Gegenstück zur lichten Welt des Tages und zugleich ihre Ergänzung: "Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht. Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht?" Die weibliche Nacht, ein Sehnsuchtsort, hat einen "himmlischen Anflug". In ihr scheint eine andere Welt in den Menschen hinein, in der Schlaf, Visionen, Gedankenstücke und Träume bestimmend sind, Botschaften des Unbewussten an den Menschen.

Todessehnsucht ist in dieser ausufernden lyrischen Prosa vorherrschend. Sie ist erotisch gewendet als eine Vereinigung des Menschen gedacht. Der romantische Mensch, Mann wie Frau, ist psychologisch geschult. Sorgfältig studiert das romantische Subjekt Träume, Vorahnungen und die Fülle an Fantasien. Der Traum ist der Shakespeare in uns, hat Novalis Weggefährte Ludwig Tieck einmal geschrieben.

Träume sind keineswegs Schäume, sie sind Manifestation des seelischen Prozesses, sie enthalten Wünsche, sie sind ein "bedeutsamer Riss" in einem "geheimnisvollen Vorhang (...), der mit tausend Falten in unser Inneres" fällt. Sie sind eine Schutzwehr gegen den gleichförmigen Alltag - ein Ort der Fantasie.

Anders als bei Freud weisen sie auf Zukünftiges voraus, so wie der Traum von der blauen Blume, die sich nach und nach in ein zartes weibliches Antlitz verwandelt. Dass der Traum in der märchenhaften, ins Mittelalter verschobenen Geschichte, sich schließlich nach langen Irrungen und Wirrungen erfüllt, bildet den Kern des unvollendeten Romans "Heinrich von Ofterdingen".

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Amy Beach 1867 - 1944
Bearbeiter/Bearbeiterin: Amy Beach 1867 - 1944
Titel: Drei Stücke für Violoncello und Klavier op.40 (orig. für Violine und Klavier)
* Nr.1 La Captive (00:03:21)
Solist/Solistin: Pamela Frame
Solist/Solistin: Robert Weirich
Länge: 03:21 min
Label: Koch International Classics 372812 H1

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