Novalis, Staalstich vom Friedrich Eduard Eichens (1845), Ausschnitt

GEMEINFREI

Gedanken für den Tag

Die Christenheit oder Europa

Die Geburt der Moderne im Geist der deutschen Romantik - Zum 250. Geburtstag von Novalis von Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschafter

"Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo EINE Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs."

Dieser märchenhafte Essay der deutschen Frühromantik hat ein merkwürdiges Schicksal, wurde er doch erst lange nach dem Tod des Autors einem größeren Publikum bekannt. Geschrieben ist er auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen dem nachrevolutionären Frankreich und der mit ihm rivalisierenden Mächte. Konzipiert war er auch als eine romantische Antwort auf Kants berühmte Schrift über den ewigen Frieden. Nicht rationalistische Aufklärung, sondern erneuerte Religiosität wird hier zur zentralen Botschaft einer umfassenden, friedlichen und universalen Ordnung. Als der Text 1826 erscheint, haben sich die politischen Konstellationen verschoben. Nun konnte der Text sowohl im Sinne der restaurativen christlichen Mächte, aber auch als Kritik an einem frühen Nationalismus gelesen werden. Heute gehört "Die Christenheit oder Europa" zu einem Textkanon, der dem westlichen Nachkriegseuropa ein heute historisch gewordenes Narrativ verlieh.

Novalis' Text ist die vielleicht erste rückwärtsgewandte Utopie der Moderne. Vor dem Hintergrund der damaligen Kriege in Europa blickt der Dichter auf die versäumten geschichtlichen Möglichkeiten zurück. Der pietistische Protestant Novalis rückt das dunkle Mittelalter in ein helles Licht: Er beschwört eine so vielfältige wie einheitliche Welt des Friedens, der Sicherheit und des Respekts, der Wissenschaft und der Künste, eine Welt, in der die Menschen durch das gemeinsame Band eines ,mystischen' Glaubens verbunden sind. Aber die Menschen, so konstatiert der Text, waren "für dieses herrliche Reich nicht reif, nicht gebildet genug". Insofern sind, so Novalis, Reformation und Aufklärung berechtigt gewesen, haben indes die Einheit Europas zerstört. Um diese Einheit wiederherzustellen und ewigen Frieden zu erlangen, bedarf es für Novalis der Anknüpfung an einen Universalismus, der das Vereinigende mit dem Respekt vor dem Besonderen verbindet.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jacques Offenbach 1819 - 1880
Album: A Serenade for you from France
* Andante - 2.Satz (00:03:54)
Titel: Serenade für Streicher in C-Dur
Orchester: RIAS Sinfonietta
Leitung: Jiri Starek
Länge: 03:54 min
Label: Koch Schwann Musica Mundi 311066 F1

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