Anton Kaindlstorfer

ORF/GÜNTER KAINDLSTORFER

Hörbilder

Konfrontation mit dem nationalsozialistischen Großvater

Der Ö1 Journalist Günter Kaindlstorfer erzählt, wie sein Großvater, der Balzac- und Dostojewski-Leser, zum NSDAP-Ortsgruppenleiter von Bad Ischl wurde. "Anton Kaindlstorfer - Eine Karriere."

Im April 2021 fand der Hörfunkjournalist Günter Kaindlstorfer, Jahrgang 1963, eine unscheinbar wirkende Messenger-Nachricht in seinem Postfach. Die Künstlerin Teresa Distelberger fragte an, ob er bereit sei, sich für ein Kunstprojekt im Salzkammergut mit seiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen. "Ich habe gleich gewusst, worauf das hinausläuft", erinnert sich der Radiomacher: "Teresa Distelberger wollte, dass ich mich vor aller Augen mit der Biografie meines NS-belasteten Großvaters konfrontiere. Ich habe eine Minute gezögert - und dann zugesagt."

Das Zögern hatte einen Grund: Anton Kaindlstorfer (1900 bis 1944), der Großvater des Rundfunkmachers, war einer der führenden Nazis des Salzkammerguts - zunächst ein strammer Deutschnationaler, dann Nationalsozialist der ersten Stunde, einer, der bereits 1922 in die NSDAP-Ortsgruppe Ebensee eingetreten ist. "Das ist nichts, worauf man stolz sein kann", erklärt Kaindlstorfer. "Aber zugleich war mir klar: Ich will und darf mich vor einer öffentlichen Auseinandersetzung mit der Biografie meines Großvaters nicht drücken."

Anton Kaindlstorfer war nach dem "Anschluss" ein mächtiger Mann im Salzkammergut. Als Ortsgruppenleiter der NSDAP-Gruppe "Saureis-Unterberger" in Bad Ischl wurde er auch zum Direktor der örtlichen Sparkasse ernannt. "Als Sparkassenchef war er in die berüchtigten Arisierungen der Ischler Villen an prominenter Stelle involviert", konstatiert sein Enkel: "Ein unauslöschlicher Schandfleck in der Geschichte meiner Familie."

In den Ö1-"Hörbildern" rekonstruiert Kaindlstorfer nun das Leben seines Großvaters auch akustisch. Dabei entsteht das Porträt eines österreichischen Nationalsozialisten, der größten Wert auf bürgerliche Umgangsformen legte und zugleich vor niedrigsten Handlungen nicht zurückschreckte. "Dabei scheint Anton Kaindlstorfer immer Wert darauf gelegt zu haben, als kunstsinnig zu gelten", resümiert sein Enkel: "Mein Großvater hatte eine beachtliche Bibliothek, Balzac und Dostojewski standen da neben Haeckels ,Welträtseln' und dem unvermeidlichen ,Kampf um Rom', der zu jener Zeit in keinem deutschvölkischen Haushalt fehlen durfte. In jüngeren Jahren hat er sich auch als Landschaftsmaler versucht - wie sein großes politisches Idol."

Am Ende seiner Recherchen, die ihn nicht nur ins Salzkammergut, sondern auch auf verschiedene Kriegsschauplätze in halb Europa führen, kommt Günter Kaindlstorfer einem schmutzigen Familiengeheimnis auf die Spur: "Mein Großvater ist im September 1944 in Frankreich gefallen. Bis vor kurzem konnte mir niemand sagen, warum er sich 1940 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hat, obwohl er doch als NS-Ortsgruppenleiter kriegsdienstbefreit gewesen wäre. Inzwischen kenne ich die Wahrheit. Sie ist niederschmetternd."

Von: Günter Kaindlstorfer
Redaktion: Elisabeth Stratka

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