Johanna Schwanberg

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über Georges Braque

Zerlegte Wirklichkeit - Zum 140. Geburtstag von Georges Braque.
Von Johanna Schwanberg, Kunstwissenschafterin und Direktorin des Dom Museum Wien

Graubraun dominiert den Bildraum. Dazwischen schwarze Linien und weiße Flecken. Alles scheint eckig zu sein und zu flimmern. So als würde ich die Welt durch ein Prisma betrachten.

Je länger ich hinschaue, desto mehr erkenne ich in dem Gewirr aus Kuben, Dreiecken und Linien. Im unteren Bildteil sehe ich plötzlich den Korpus, den Steg, die Wirbel und die Seiten einer Geige. Links darüber lässt sich noch ein Gegenstand ausmachen: Es ist ein schlichter Krug, der hier als Dialogpartner des Musikinstrumentes auftaucht. Aber wie stehen die beiden Gegenstände zueinander in Beziehung? Sehe ich sie von vorne oder von der Seite? Oder von allen Seiten gleichzeitig?

Georges Braques Ölgemälde mit dem Titel "Krug und Geige" entstand um das Jahr 1910. Es gilt heute als eines der Schlüsselwerke des Kubismus, den Braque damals gemeinsam mit seinem Künstlerfreund Pablo Picasso begründet hat.

Der Kubismus war eine Revolution in der Kunst. Denn diese neue Kunstrichtung der 1910er Jahre bricht radikal mit der jahrhundertealten Vorstellung, dass Kunst die Wirklichkeit abbilden muss. Vielmehr schafft sie die Wirklichkeit neu - mit den Mitteln der Kunst, mit Formen, Farben und Linien.

Ein kubistisches Gemälde wie Braques soeben beschriebenes Stillleben fordert mich als Kunstbetrachterin und Mensch besonders heraus. Es erinnert mich daran, genau hinzusehen. Mich auf etwas einzulassen, das mir auf den ersten Blick verwirrend und rätselhaft erscheint. In der Kunst und im Leben geht es häufig darum, länger vor etwas zu verweilen und ein Objekt, Problem oder auch ein menschliches Gegenüber immer wieder von anderen Gesichtspunkten zu betrachten. Wie oft habe ich mich schon getäuscht, wenn ich geglaubt habe, ein kurzer Blick genügt, um ein Kunstwerk zu verstehen oder eine komplexe Situation zu beurteilen.

Georges Braque hat in der Verunsicherung aller Gewissheiten die eigentliche Kraft von Kunst gesehen. So meinte er: "Die Kunst ist bestimmt, zu beunruhigen: die Wissenschaft macht sicher."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Erik Satie 1866 - 1925
Bearbeiter/Bearbeiterin: Kennedy John Lenehan
Album: CLASSIC KENNEDY
Titel: Gymnopedie für Klavier Nr.2 / Bearbeitung für Violine und Orchester
Solist/Solistin: Kennedy
Orchester: English Chamber Orchestra
Ausführender/Ausführende: David Heath
Länge: 02:02 min
Label: EMI Classics 5569232

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