Iannis Xenakis

Iannis Xenakis - APA/APF/LETHIKUVA

Radiokolleg - Musikalisches Ingenieurswesen

Iannis Xenakis und die Konstruktion von Musik und Raum (1). Gestaltung: Thomas Mießgang und Marie-Theres Himmler

Die Musik von Iannis Xenakis mit ihren wilden Kataklysmen, tektonischen Klangmassenverschiebungen und ritualistischen Perkussionsentfesselungen ist besser gealtert als die der meisten Zeitgenossen und klingt auch heute noch frisch und aufregend. Iannis Xenakis, 1922 geboren und in Griechenland aufgewachsen war immer schon ein wenig anders als all die anderen. Zum einen gab es die persönliche Katastrophenerfahrung im Widerstandskampf gegen die Nazis und im anschließenden Bürgerkrieg. Zum anderen sein Bedürfnis, sich Regeln nicht zu unterwerfen, sondern sie, im Gegenteil, neu zu definieren. Und dies unter Einsatz aller Wissensmaterie, deren er habhaft werden konnte. Als politischer Flüchtling ließ er sich in Paris nieder, war zwölf Jahre lang Assistent des Architekten Le Corbusier und entwickelte gleichzeitig seine Musik weiter.

Xenakis, der in Athen bereits sechs Jahre Ingenieurswissenschaften studiert hatte, war durch die Zusammenarbeit mit Le Corbusier mit einer Vielzahl von Bauten betraut - von Wohnhäusern in Frankreich bis hin zum Stadion in Bagdad. Rhythmische Aspekte, mit denen Xenakis in der Musik experimentierte, spiegeln sich etwa in der Fensterfront des Klosters Sainte-Marie de la Tourette wider. Mit dem Philips Pavillon der Brüsseler Weltausstellung 1958 nimmt Xenakis' graphische Notation seiner Durchbruchskomposition "Metastasis" bauliche Form an: Die Außenflächen streben als hyperbolische Paraboloide steil empor. Die akustische Innenausstattung des Pavillons durch Edgar Varèse und Iannis Xenakis gibt wiederum entscheidende Impulse für die Entwicklung der Klangkunst und wirkt bis in die Werke der jüngsten Komponist/innen-Generationen weiter.

Um die Produktionsweise von Xenakis Kompositionen und auch seiner architektonischen Entwürfe wirklich zu verstehen, müsste man Naturwissenschaftler und Mathematiker sein: Er spricht von "stochastischer Musik" und meinte damit, dass Ereignisse wie Regen, eine Menschenmasse oder ein Bienenschwarm herangezogen werden könnten, um die Töne zu organisieren. Dazu arbeitete er mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Zufallsverteilungen, darunter die Maxwell-Boltzmann-Verteilung, die Gauß'sche Verteilung und Markow-Ketten, sowie mathematische Spieltheorie und Mengentheorie.

Wem dies jetzt alles too much ist und er eine Musik befürchtet, die genauso zerebral klingt wie sie hergestellt wurde, der sei beruhigt: Iannis Xenakis war zwar ein Polyhistor von geradezu furchterregender intellektueller Durchdringungslust, doch gleichzeitig ein Mann, der mit Werken wie "Metastasis" oder "Pithoprakta" die unmittelbare künstlerische Erschütterung ansteuerte. Der sinnliche Schock, meinte er einmal, "müsse in der Musik ebenso fühlbar sein wie beim Anhören des Donners oder beim Blick in den unendlichen Abgrund."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

  • Thomas Mießgang
  • Marie-Theres Himmler

Playlist

Komponist/Komponistin: Iannis Xenakis (1922-2001)
Titel: Metastasis for 61 Musicians (1953/54)
Orchester: Orchestre National De L'O.R.T.F
Leitung: Maurice Le Roux
Länge: 03:04 min
Label: Le Chant Du Monde - LDX-A-78368

Komponist/Komponistin: Iannis Xenakis (1922-2001)
Titel: Concret PH (1958)
Solist/Solistin: Iannis Xenakis
Länge: 01:16 min
Label: Karlrecords - KR089

Komponist/Komponistin: Edgar Varèse (1883-1965)
Titel: Poème électronique (1958)
Solist/Solistin: Edgar Varèse (Tape)
Länge: 04:03 min
Label: EAV Lexington - MAS 4237

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