Zwischenruf

Hannelore Reiner über Sprache

Die Oberkirchenrätin a. D. der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich über heutige "Pfingstwunder"

Seit Jahren stand das Sanatorium leer. Aber seit drei Monaten wirbeln Kinder unterschiedlichen Alters durch das große Haus. Sie wurden aus einem ukrainischen Kinderheim mit all ihren Betreuern und Betreuerinnen in zwei Transporten schon bald nach Kriegsbeginn nach Österreich gebracht. 50 Frauen und Männer hatten sich spontan zum Putzdienst gemeldet, um das ehemalige, schon selbst etwas sanierungsbedürftige Sanatorium bezugsfertig und kinderfreundlich einzurichten.

Das größte Problem würde die Sprache sein - da waren sich alle einig. Denn von heute auf morgen lässt sich keine fremde Sprache erlernen. Wie werden wir einander verstehen, die Kinder uns und wir sie - darüber wurde gegrübelt. Wie kann die Lehrerin in der Schule den Kindern etwas beibringen, wenn ihre Worte unverstanden bleiben? Setzt der Unterricht nicht sprachliches Verständnis voraus?

In der alten Pfingstgeschichte der Bibel wird erzählt, dass die Pilger, die sich zum jüdischen Wochenfest in Jerusalem versammelt hatten, die erste Predigt des Apostel Petrus verstehen konnten, und das, obgleich Petrus wohl in einem galiläisch gefärbten Aramäisch gepredigt hat und seine Zuhörer und Zuhörerinnen ganz unterschiedliche Muttersprachen hatten. Das Pfingstwunder bestand demnach darin, dass der Geist - der Heilige Geist - einerseits den einstigen Fischer Petrus ermutigte, vor ihm fremden Menschen den Glauben an Jesu Auferstehung zu bekennen und andererseits bei den Predigthörenden das Verstehen bewirkte. Allgemeines Staunen, kuriose Missverständnisse - wie etwa die Frage: Sind die alle betrunken? - Aber auch tiefes inneres Berührtsein waren die Folgen dieser ersten Predigt.

Das pfingstliche Wunder des wechselseitigen Verstehens blieb und bleibt nicht auf das erste nachchristliche Jahrhundert beschränkt. Schon bei der ersten Begegnung zwischen den österreichischen Helfern und den ukrainischen Kindern zückten die Jugendlichen des Waisenhauses mit einem schüchternen Lächeln ihre Smartphones und fanden in kürzester Zeit die jeweilige Übersetzung dessen, was zu ihnen in Deutsch gesprochen wurde.

In einer anderen Schule übersetzte ein russisches Mädchen, das bereits vor einem Jahr nach Österreich gekommen war, den Lehrstoff für die neu angekommenen ukrainischen Mitschülerinnen und wurde so zur Sprachhilfe für die Lehrenden.

Das einander Verstehen setzt Hinhören und einander Zuhören voraus. Das zeigte sich schon damals in Jerusalem in den unterschiedlichen Reaktionen auf die erste Pfingstpredigt. Heute ist es nicht anders. Wenn nicht die innere und äußere Bereitschaft zum gegenseitigen Verstehen gegeben ist, helfen selbst die gemeinsame Sprache oder ein Sprachcomputer nicht, weder in den Schulen noch an den Konferenztischen der Mächtigen dieser Welt.

Umso dankbarer bin ich für die Pfingstwunder mitten unter uns. Sie bewirken nicht bloß gegenseitiges Verstehen über Sprachbarrieren hinweg, sondern öffnen das menschliche Herz in besonderer Weise. Mit kreativen Ideen von Kindern und Erwachsenen werden für das Leben im ehemaligen Sanatorium Spenden gesammelt und Begegnungen organisiert, die vorher undenkbar waren.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart
Album: Unbekannte Arien für Sopran und concertierende Instrumente von Mozart
Titel: Plasmator Deus - Arie für Sopran mit obligatem Fagott und Orchester
Solist/Solistin: Helen Donath /Sopran
Solist/Solistin: Karl Otto Hartmann /Fagott
Orchester: Suk Kammerorchester Prag
Leitung: Klaus Donath
Länge: 06:00 min
Label: Acanta 43470

weiteren Inhalt einblenden