Nachruf auf Wolfgang Reisinger

9. Juni 2022, 17:30

Er verband die klangliche Sensibilität und das Formbewusstsein seines "europäischen" Backgrounds mit der Flexibilität und Vielseitigkeit US-amerikanischer Instrumentalkollegen. Von Rock-Jazz bis zu freiem Spiel, von kammermusikalischen Improvisationskonzepten im Bereich der Folklore imaginaire bis hin zu elektroakustischen Materialschichtungen und darüber hinaus reichte das Spektrum von Wolfgang Reisinger. Der Werdegang des 1955 geborenen Wieners war in den 1980er Jahren mit Mathias Rüeggs Vienna Art Orchestra verbunden, mit dem er international bekannt wurde. Schon damals prägte er auch Ensembles wie Part of Art, Air Mail und die Pat Brothers mit, an der Seite von Musiker:innen wie Harry Pepl, Wolfgang Puschnig, Herbert Joos, Uli Scherer bzw. Linda Sharrock und Wolfgang Mitterer.

Nach seinem Ausstieg aus dem Vienna Art Orchestra 1989 war Reisinger europaweit aktiv und vor allem in der französischen Jazzszene ein vielgefragter Schlagzeuger, wovon Aufnahmen und Auftritte mit Louis Sclavis, Yves Robert, Dominique Pifarely, Jean-Paul Celea u. v. a. zeugen. Mit Celea bildete Reisinger in der Folge eine der beständigsten Bass-Schlagzeug-Achsen der europäischen Szene, die sich im Quintett Passaggio ebenso bewährte wie im Trio mit dem US-amerikanischen Saxofonisten-Meister Dave Liebman (drei CD-Veröffentlichungen zwischen 1996 und 2001) und in Aufnahmen mit Pianist Joachim Kühn und Sopransaxofonist Emile Parisien.

Seit 1992 verfolgte Wolfgang Reisinger, der wiederholt Jack DeJohnette als wichtige Orientierungsfigur nannte, auch eigene Projekte. Anfangs in Soloauftritten, in denen er gleich einem Ein-Mann-Orchester seine dichten perkussionistischen Texturen mittels programmierter Sample-Pads strukturierte. Viele der von Reisinger initiierten Formationen wie das in wechselnder Besetzung agierende Quintett Spirits und das 2002 gegründete, die Kompositionen Ornette Colemans und Joachim Kühns fokussierende Quartett mit Klaus Dickbauer (Reeds), Andy Manndorff (Gitarre) und Peter Herbert (Bass), verfolgten Konzepte der simultanen Echtzeit-Komposition. Seine bedeutendste Veröffentlichung unter eigenem Namen ist die CD "Refusion", aufgenommen 2004 u. a. mit Dave Liebman und Marc Ducret.

Am Mittwoch, dem 8. Juni, ist Wolfgang Reisinger unerwartet an den Folgen eines geplatzten Aortenaneurysmas in einem Wiener Spital verstorben. Er hätte im Juli seinen 67. Geburtstag gefeiert. Die Spielräume erinnern an Österreichs international renommiertesten Jazzschlagzeuger und an seine vielfältige, stets das Abenteuer des Moments, der spontanen Ideenfindung suchende Musik.


Gestaltung: Andreas Felber

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