Hubert Gaisbauer über: Das Funkhaus und das gute Leben

2. Juli 2022, 06:56

Heute feiert das Programm Ö1 - nein, nicht sich selber, sondern das Haus, in dem Ö1 "zuhause" war, das Wiener Funkhaus - mit der Adresse, die mir schon als Kind geläufig war: Argentinierstraße 30a. Man feiert Abschied - und "das Funkhaus" ist in wenigen Wochen weitgehend Geschichte. Der Ö1-Tag heute: ein Abschiedsritual. Das Funkhaus und das Gute Leben.
Für Aristoteles bedeutete das Wort Haus - oikos - nicht Bauwerk, sondern geordnete Hausgemeinschaft - oikonomia, es hatte im Wiener Funkhaus etwas von koinonia an sich, also etwas Vereinigendes, etwas Zivilgesellschaftliches, das Aristoteles koinonia politiké nannte.

Man soll sich vor Mythenbildungen hüten, aber ich verschweige nicht, dass ich 1962, also vor sechzig Jahren das Funkhaus zum ersten Mal betreten habe. Ich habe damals nicht geahnt, dass dieses Haus für mich das Haus eines guten Berufslebens sein wird. Ich war stolz, in diesem Haus einem Auftrag verpflichtet zu sein, der Bildungsauftrag heißt. Der öffentlich und unabhängig ist. Nach Aristoteles habe ja die Staatskunst "das zur Erlangung des Guten Lebens erforderliche Wissen bereitzustellen, für ein Gutes Leben für Alle." Das wäre also oikonomia - Ökonomie.
Ich habe gerne im Wiener Funkhauses gearbeitet, war gerne darin unterwegs, wenn ich einen Kollegen aufsuchte oder eine Kollegin, um einen Rat einzuholen oder wenn ich um einen Rat gebeten wurde. Wir haben uns oft beraten - nicht nur im historischen Sitzungssaal.

Ich glaube, das war der Gute Geist, der spiritus loci, oder der genius loci, also der Gute Geist eines Ortes, oder der Eudaimon von Aristoteles, der das gelungene, das gute Leben bewirkt. Vielleicht war der Topos Argentinierstrasse 30a wirklich ein Kraftort, ohne geomantische Linien. Ein Ort, in dem viel von der Zeit vieler Menschen steckt. Menschen, die ihren Beitrag zu einem guten Leben geleistet haben: mit einem guten Radioprogramm.
Noch ein Trostwort zum Schluss: für Aristoteles liegt das Gute nicht in der Dauer, sondern in Veränderung und Bewegung. Also auf, ihr Guten Radio-Geister von Ö1, auf in den ORF MEDIEN CAMPUS, und es möge euch dort wohl ergehen.

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Gestaltung

• Alexandra Mantler