Figurengruppe "Adam und Eva",eine mittelitalienische Arbeit um 1580.

APA/DOROTHEUM

Punkt eins

Das Heilige, das Nackte

Kulturgeschichte eines kunstreichen Spannungsverhältnisses.
Gast: Dr. Markus Hofer, Theologe, Kunsthistoriker, Buchautor.
Moderation: Andreas Obrecht.
Anrufe kostenlos aus ganz Österreich unter 0800 22 69 79
E-Mails an punkteins(at)orf.at

Im christlichen Kulturkreis sind Adam und Eva wahrscheinlich die berühmtesten Nackten. Nach dem Sündenfall, nach dem Biss in den Apfel vom Baum der Erkenntnis verändert sich die paradiesische Welt rasant. In der Genesis 2,25 heißt es: "Beide waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander!" Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben, die Genitalien werden verhüllt, fortan werden Last und Schmerz das Leben der Menschen bestimmen. Auch in der Kunst sind die berühmten Nackten selten nackt zu sehen - Blattbüscheln, Weinranken, schamvoll vorgehaltene Hände verdecken jene Teile des männlichen und weiblichen Körpers, die zusehends mit Sünde assoziiert werden.

Die spannungsreiche Beziehung zwischen dem Heiligen und dem Nackten findet einen unmittelbaren Ausdruck in der Kunst. Der Suche nach den Spuren dieser Beziehung hat der Theologe und Kunsthistoriker Markus Hofer nun ein Buch mit dem Titel "Das Heilige und das Nackte. Eine Kulturgeschichte" gewidmet. Er durchstreift die Jahrhunderte und gelangt zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Je rigider die Sexualmoral der Gesellschaft ist, desto mehr findet sich das Nackte im Heiligen wieder, je dominanter die Moral desto größer die Doppelmoral, die sich auch des Heiligen bedient. Markus Hofer resümiert am Ende seiner langen Reise durch die Epochen: "Es scheint als hätten sich in jüngerer Zeit das Heilige und das Nackte doch etwas aus dem Blick verloren. Nicht zuletzt ist es jedoch auch das Heilige, das dem Nackten menschliche Würde verleiht!"

Waren es in der griechischen Antike idealisierte Götter- und Göttinnen, die nackt die Verbindung zwischen Irdischem und Überirdischem zeigen durften, so verschwindet die Darstellung des Nackten im Mittelalter, nicht weil es verboten gewesen wäre, sondern weil - wie Markus Hofer schreibt - das Nackte in der mittelalterlichen Alltagsrealität ständig präsent war. Die Renaissance entsinnt sich der antiken Vorbilder, zu viel Nacktheit darf es aber nicht geben, wie Michelangelo erfährt, als das Nackte der Sixtinischen Kapelle züchtig übermalt wird. Ab dem 16. Jahrhundert produzieren die Maler und Bildhauer zusehends für einen kirchlichen und einen privaten Markt - auf letzterem werden dezidiert erotische Werke feilgeboten, die in die Hinter- und Schlafzimmer der betuchten Kundschaft gehängt werden. Aber auch diese Nackten sind biblischen Geschichten, Motiven und Heiligen entnommen. Erst im 19. Jahrhundert vollzieht sich eine radikale Trennung zwischen kirchlicher und säkularer Kunst - das Nackte muss zusehends ohne Heiligenschein auskommen.

Markus Hofer ist zu Gast bei Andreas Obrecht und wie immer freut sich das Punkt eins Team über die Beteiligung der Hörerinnen und Hörer an dem Gespräch unter 0800 22 69 79 während der Sendung oder unter punkteins(at)orf.at

Service

Buch:
Markus Hofer: Das Heilige und das Nackte. Eine Kulturgeschichte. Tyrolia Verlag, Innsbruck - Wien. 2022

Sendereihe

Gestaltung

  • Andreas Obrecht

Playlist

Urheber/Urheberin: Rickie Lee Jones
Titel: Weasel and the White Boys Cool (Live Acoustic)
Ausführender/Ausführende: Rickie Lee Jones
Länge: 05:14 min
Label: Reprise Records

Urheber/Urheberin: Rickie Lee Jones
Titel: Altar Boy (Live Acoustic)
Ausführender/Ausführende:
Rickie Lee Jones
Länge: 02:40 min
Label: Reprise Records

Urheber/Urheberin: Rickie Lee Jones
Titel: Living It Up (Live Acoustic)
Ausführender/Ausführende:
Rickie Lee Jones
Länge: 06:29 min
Label: Reprise Records

weiteren Inhalt einblenden