Dominik Barta über Nähe

2. August 2022, 06:56

Kaum jemand, nur der extreme Eremit, lebt so allein, dass sein Leben wirklich nirgendwo und niemals an irgendein anderes Leben anstößt.

Die meisten Menschen bewegen sich selbstverständlich in einer Sphäre, wo sie von anderen begrenzt und berührt werden. Der Umstand, dass wir kaum anders leben können, als "benachbart", als "von Nachbarn umgeben", ist also einerseits eine menschliche Tatsache. Andererseits aber auch die Ursache unserer ständig möglichen Verletzlichkeit. Sich diese Verletzlichkeit präsent zu halten, ist eine gute demokratische Übung.

Die amerikanische Philosophin Nancy Rosenblum schrieb 2016, vor der Pandemie, ein Buch mit dem Titel "Good Neighbours: the Democracy of Everyday Life in America" . Darin beschreibt sie die Beziehung zu unseren Nachbarn als die grundlegende Beziehung eines demokratischen Alltags. Die Art und Weise, wie wir mit unseren Nachbarn verfahren, ist genau jene Praxis, die es braucht, damit ein demokratisches Neben- und Miteinander existieren kann. Drei Grundelemente konstituieren das nachbarschaftliche Zusammenleben laut Nancy Rosenblum: "Reciprocity", "Speaking Out" und "Live and let live". Wir können uns diese Elemente in aller Kürze so übersetzen:

Nachbarn wissen sich, aufgrund ihrer Nähe, in gegenseitiger Abhängigkeit. Diese Reziprozität erfordert einen Kommunikationsstil, bei dem man sich sachlich und offen über Probleme informiert. Der Ton, mit dem Nachbarn miteinander umspringen, ist dem Umstand angepasst, dass sie sich auch morgen und übermorgen noch in die Augen schauen müssen. So pflegen Nachbarn idealerweise eine Haltung des "Lebens und Leben-Lassens".

Service

Nancy Rosenblum, "Good Neighbours: the Democracy of Everyday Life in America", Princeton University Press 2016
Dominik Barta, "Vom Land", Zsolnay 2020
Dominik Barta, "Tür an Tür", Zsolnay 2022

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler