John Storgårds

MARCO BORGGREVE

Das Ö1 Konzert

Kalevi Aho und Schostakowitsch

BBC Philharmonic, Dirigent: John Storgårds; Carolina Eyck, Theremin.
Kalevi Aho: Acht Jahreszeiten, Konzert für Theremin und Kammerorchester * Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 15 A-Dur op. 141 (aufgenommen am 4. August in der Royal Albert Hall, London im Rahmen der "Proms 2022"). Präsentation: Peter Kislinger

Kalevi Aho ist "einer der einfallsreichsten und technisch beschlagensten Komponisten unserer Zeit" (Klassik Heute). Schrieb "International Record Review" vor 15 Jahren vom "neglected genius", so äußerte 2013 "Gramophone" den Verdacht, der 1949 in Finnland geborene Aho habe mittlerweile "durchaus berechtigten Anspruch" auf den Titel "größter zeitgenössischer Symphoniker". Viele seiner 17 Symphonien überschreiten die Grenzen zum Instrumentalwerk; die oft groß besetzten 37 Instrumentalkonzerte könnte man als Symphonien mit obligatem Solisten bezeichnen.


Acht Jahreszeiten

Das Thereminkonzert "Acht Jahreszeiten" wurde 2012 von Carolina Eyck, die das Werk in Auftrag gegeben hatte, unter der Leitung von John Storgards uraufgeführt. Der Tonumfang des Theremins beträgt sieben Oktaven - eine Herausforderung für die Solistin und den Komponisten. Die acht ohne Pause gespielten Sätze des Konzerts sind die musikalische Entsprechung eines nordischen Jahreszyklus. Die Sámi im Hohen Norden teilen das Jahr in acht Jahreszeiten.


Versteckt an der Oberfläche

Alles gesagt, alles verschwiegen hat Schostakowitsch in seiner 1971, vier Jahre vor seinem Tod entstandenen letzten Symphonie. Was sollen die Rossini- und Wagner-Zitate? Noch einfach zu deuten: Das Wilhelm-Tell Zitat wird niedergetrampelt. Im ersten Satz zitiert Schostakowitsch aber auch aus Wagners "Die Walküre", im Finale das Todesmotiv aus Wagners "Götterdämmerung", das Paukenmotiv aus "Siegfrieds Trauermarsch" und ein enervierendes Motiv aus seiner 7. Symphonie, der "Leningrader Symphonie". Warum, wozu die Wagner-Zitate? Am 21. November 1940 erfolgte in Anwesenheit deutscher Diplomaten die von Stalin angeordnete Galapremiere der "Walküre", um den im August 1939 unterzeichneten deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt (als "Hitler-Stalin-Pakt" bekannt), der zu ihrer bisherigen Politik im Widerspruch stand, künstlerisch zu besiegeln. Die" Walküre"-Inszenierung ermöglichte "Spekulationen, die nahezu jede Nuance des deutsch-sowjetischen Verhältnisses seit Gründung der Sowjetunion" widerspiegelten (Boris Schafgans). Die deutschen Diplomaten waren "geschmeichelt und bestürzt", der rumänische Gesandte sah die "Götterdämmerung" und ein "Kosakenballett heraufziehen." Der österreichische Kommunist und Kulturpublizist Ernst Fischer wollte eine "verwegene Wagner-Parodie" erlebt haben, die "den Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen exekutierte" und den Hitler-Stalin-Pakt konterkarierte. Stalins Hoffnung, "über Wagner mit Deutschland enger ins Gespräch zu kommen, scheiterte auch am Misstrauen und an Zensurbestimmungen der deutschen Seite", zugleich hatte er "den Fehler aller Despoten wiederholt und die Macht der Kunst einfach überschätzt", so Schafgans, der keinen Bezug zu Schostakowitsch herstellt. Wenige Monate später, am 22. Juni 1941, überfiel Nazideutschland die UdSSR. Musik also, die kunstvoll Privates und Politisches verschränkt, die Schicksale der Sowjetdiktatur und des Komponisten parallel setzt. Die 15. Symphonie beginnt mit einem Glockenspiel, kindlich naiv, verspielt, und endet auf demselben Intervall, reduziert auf einen komplexen Rhythmus und das Geräuschhafte des Schlagwerks: von der Wiege bis zur Intensivstation. Manche mutmaßen, Schostakowitsch habe mit diesem Schluss auch Eindrücke aus der Intensivstation verarbeitet, wo der schwer herzkranke Komponist um sein Leben gerungen hatte. Der Patient in der Intensivstation könnte aus Sicht des Komponisten auch die Sowjetunion sein. Deren Siechtum dauerte noch bis 1991.

Und ein das Werk durchziehendes gespenstisches Klopf-Motiv? Freund Hein? Der KGB, der sowjetische Geheimdienst, der anklopft und seine denunzierten Opfer verhaften kommt? Schostakowitsch, wie Millionen anderer Menschen, lebte jahrzehntelang in angsterfüllter Erwartung dieses Klopfens.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Kalevi Aho / *1949 (Forssa, Finnland)
Titel: Acht Jahreszeiten - Konzert für Theremin und Kammerorchester (2011)
* Ernte - 1. Satz (attaca)
* Herbstfarben- 2. Satz (attaca)
* Schwarzer Schnee - 3. Satz (attaca)
* Weihnachtsdunkelheit- 4. Satz (attaca)
* Winterfrost - 5. Satz (attaca)
* Harsch (Tragender Schnee) - 6. Satz (attaca)
* Eisschmelze - 7. Satz (attaca)
* Mitternachtssonne - 8. Satz
Solist/Solistin: Carolina Eyck / Theremin
Orchester: BBC Philharmonic
Leitung: John Storgards
Länge: 32:40 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Dimitri Schostakowitsch/1906 - 1975
Titel: Symphonie Nr.15 in A-Dur op.141
* Allegretto - 1.Satz
* Adagio. Largo - 2.Satz
* Allegretto - 3.Satz
* Adagio. Allegretto - 4.Satz
Orchester: BBC Philharmonic
Leitung: John Storgards
Länge: 45:30 min
Label: EBU

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