Ein nacktes Pärchen spaziert durch den Park.

AFP/GEORGES GOBET

Medizin und Gesundheit

Neues aus der Sexualmedizin

Die verschwiegenste Nebensache der Welt


Selbst im aufgeklärten 21. Jahrhundert scheint der Bereich der Sexualität in der Medizin ein blinder Fleck zu sein: Störungen der Sexualfunktion, Nebenwirkungen von Therapien, die sich im Intimbereich äußern oder auch Lust und Unlust auf Sex bei älteren Menschen werden in der ärztlichen Praxis nach wie vor kaum thematisiert.
Dabei schaffen Sexualfunktionsstörungen nicht nur einen großen Leidensdruck für die Betroffenen, sie können auch erste Hinweise auf zugrundeliegende Erkrankungen liefern.

Der Penis als Antenne des Herzens

Denn in vielen Fällen stecken internistische Probleme dahinter: Bluthochdruck, neurologische Krankheiten oder Diabetes verursachen oft Störungen des Lustempfindens. "Wenn man bedenkt, dass 80 Prozent der von Diabetes betroffenen Personen im Zuge der Erkrankung auch Sexualfunktionsstörungen aufweisen, sollte diesbezüglich nachgefragt werden", so die Sexualmedizinerin und Internistin Univ.-Prof.in Dr.in Michaela Bayerle-Eder. Sehr bildlich wird von urologischer Seite der Zusammenhang zwischen Atherosklerose und mangelndem Erektionsvermögen beschrieben, indem der Penis als "Antenne des Herzens" bezeichnet wird. Die Impotenz kann damit durchaus auch ein Warnsignal für einen künftigen Herzinfarkt oder Schlaganfall sein.

Tabuthema Sexualfunktionsstörungen

Viele Personen trauen sich jedoch kaum, diese heiklen Probleme zu thematisieren. Und nur selten werden von ärztlicher Seite Fragen nach Erektionsproblemen oder Libidoverlust gestellt. Umso wichtiger sei daher eine entsprechende Ausbildung der medizinischen Fachkräfte - beziehungsweise auch die Etablierung eines sexualmedizinischen Lehrstuhls, den es in zahlreichen anderen Ländern bereits seit Jahren gibt. Immerhin sind rund vier von zehn Frauen im Laufe ihres Lebens von Sexualfunktionsstörungen betroffen. Bei mindestens der Hälfte wiegt die Problematik so schwer, dass medizinische oder psychotherapeutische Hilfe erforderlich ist, so Bayerle-Eder.

Beim starken Geschlecht

Bei Männern stehen einerseits Potenzprobleme, mit rund 25 Prozent bei 65-Jährigen, andererseits auch der vorzeitige Samenerguss im Vordergrund, wie der Urologe Priv.-Doz. Dr. Florian Wimpissinger berichtet. Viele jüngere Männer, die in die andrologische Sprechstunde kommen, klagen über psychische Belastungen, leiden unter Burn-out oder den Nebenwirkungen bestimmter Antidepressiva. In vielen Fällen kann der Leidensdruck durch eine Anpassung der Medikamente oder auch durch körperliche Betätigung und regelmäßiges Training deutlich verringert werden. Doch das Thema müsse zuvor auf den Tisch, so Wimpissinger.

Alter schützt vor Liebe nicht

Zurzeit ist man allerdings noch weit von einer Enttabuisierung entfernt. "Sexualität wird vor allem im fortgeschrittenen Alter tabuisiert", erklärt dazu die Sexualpädagogin Barbara Balldini. Doch auch wenn mit zunehmendem Lebensalter bekanntermaßen Erektionsstörungen beziehungsweise Scheidentrockenheit auftreten, sei ein erfülltes Sexleben durchaus möglich. Mehr noch, wie Balldini verspricht: "Das Liebesleben wird deutlich entspannter, mit weniger Leistungsdruck, mehr Fokus auf Berührungen und Zärtlichkeit. Nach dem Motto: Alter schützt vor Liebe nicht - doch Liebe vor dem Älterwerden".

Neue Herausforderung der Sexualmedizin

Bis man auch in der Medizin, abseits der einschlägigen Fächer Gynäkologie und Urologie, mit der Thematik ungezwungen umgeht, ist es jedoch noch ein langer Weg. Und es stellen sich neue Herausforderungen, auch in Bezug auf aktuelle Entwicklungen: wie der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung der Frau, der durch humane Papilloma-Viren (HPV) ausgelöste Erkrankungen, sowie den Umgang mit Menschen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität.

Anlässlich des "Interdisziplinären Sexualmedizin-Kongresses", der Mitte September 2022 in Wien stattfindet, holt Dr. Ronny Tekal mit seinen Gästen in der aktuellen Ausgabe des Radiodoktors das gerne unter den Teppich gekehrte Thema hervor und beleuchtet die modernen Aspekte der Sexualmedizin.

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Haben Sie ein erfülltes Sexualleben?

Leiden Sie selbst an Störungen der Sexualfunktion, etwa aufgrund einer Erkrankung oder Nebenwirkungen von Medikamenten?

Wurden Sie von ärztlicher Seite aktiv darauf angesprochen?

Mit welchen Behandlungsmethoden konnte Ihnen geholfen werden?

Sendungsvorbereitung und Moderation: Dr. Ronny Tekal
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Lydia Sprinzl, MA

Service

Studiogäste:

Univ.-Prof.in Dr.in Michaela Maria Bayerle-Eder
Fachärztin für Innere Medizin und Sexualmedizin
Präsidentin der Österreichische Gesellschaft zur Förderung der Sexualmedizin und der Sexuellen Gesundheit
Universitätsklinik für Innere Medizin III Meduni Wien
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Tel.: + 43/1/40400 20860
E-Mail
Homepage

Priv.- Doz. Dr. Florian Wimpissinger
Facharzt für Urologie und Andrologie
Leiter der Urologischen Abteilung Landesklinikum Mistelbach
Liechtensteinstrasse 67
2130 Mistelbach
Tel.: +43/2572/9004 12790
E-Mail
Homepage

Am Telefon:

Barbara Balldini
Dipl. Sexualpädagogin, Beziehungsberaterin und Kabarettistin
E-Mail
Homepage

Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Sexualmedizin Interdisziplinär Kongress der ÖGFSSG 16.-17.9.2022 Meduni Wien mit öffentlich zugänglicher Festrede v. Rudi Anschober
SexMedPedia - Sexualmedizinische Enzyklopädie
Sexualakademie - Österreichische Gesellschaft für Sexualwissenschaften
Interview Sexualmedizin mit Elia Bragagna: "Es gibt nach wie vor unheimlich viele Tabus und Fake"
Medmedia: Das unterschätzte Potential der Sexualmedizin
Gesundheitsministerium: Infos zu Humanen Papillomaviren HPV
Bundeszentrale für politische Bildung: Sexualität in der Pflege

Buch-Tipps:

Christoph Pies, "Check-up Mann: Das Praxis-Handbuch zur Männergesundheit", Herbig Verlag 2021

Sheila de Liz, "Woman on Fire: Alles über die fabelhaften Wechseljahre", Rowohlt 2020

Ann-Marlene Henning, Jesper Bay-Hansen, "Männer: Körper. Sex. Gesundheit.", Rowohlt 2018

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