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Energiewirtschaft im Umbruch

Zeitenwende - das Ende der Selbstverständlichkeiten (3)

Als der US-amerikanische Politikwissenschafter Francis Fukuyama vor 30 Jahren mit seinem Buch "Das Ende der Geschichte" den Siegeszug des westlichen, liberalen Demokratiemodells nach dem Ende des Kalten Krieges prophezeite, wähnten sich die westlichen Industrienationen als Gewinner auf allen Ebenen: Das auf Wirtschaftswachstum basierte kapitalistische Modell und die Demokratie als Regierungsform galten als Garant für wachsenden Wohlstand, Frieden und Sicherheit.

Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar dieses Jahres ist nichts mehr so wie es einmal (scheinbar) war. Gewissheiten, die in Westeuropa in den letzten Jahrzehnten der Stabilität selbstverständlich waren, sind ins Wanken geraten. Doch worin bestanden diese Gewissheiten und aus welcher historischen Erfahrung sind sie gewachsen? Und sind die längst selbstverständlich gewordenen Pfeiler der westlichen liberalen Demokratien nicht schon vor dem Ukraine-Krieg erodiert?

Auf dem wirtschaftlichen Sektor galt und gilt seit dem Beginn des sogenannten Wirtschaftswunders in den 1950er Jahren die Maxime des grenzenlosen Wachstums. Doch mit der Wirtschaftskrise 2008, der Klimakrise und dem gegenwärtigen Gespenst der Rezession ist dieses, scheinbar unumstößliche Grundprinzip des westlichen Wirtschaftssystems erschüttert worden.

Mit der drohenden Gas- und Energiekrise treten auch die jahrelangen Versäumnisse der westlichen Industrienationen zu Tage: Gerade durch jene Haltung der Selbstzufriedenheit, die auf der scheinbar gesicherten Energieversorgung fußte, wurden jahrzehntelang zu wenige Alternativen zum billigen Gas aus Russland angedacht und energiepolitisch umgesetzt. Viel zu lange herrschte in Westeuropa und den reichen Industrienationen das Denken vor: Der Strom kommt aus der Steckdose, das Gas aus dem Gasherd, mein Gehalt wächst jährlich über der Inflation - und der Frieden in Europa ist so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen.

Doch auch das scheinbar siegreiche, alternative Modell der westlichen liberalen Demokratien ist in den letzten Jahren erschüttert worden: Durch den Aufstieg autokratischer und autoritärer Regime wie China und Russland einerseits, und die Erosion der westlichen Demokratien durch populistische Parteien und Politiker andererseits. Damit ist sowohl der innere als auch äußere Frieden, der jahrzehntelang als selbstverständlich angenommen wurde, massiv gefährdet.
Gewissheiten, die so lange Zeit als unumstößlich galten, haben sich heute unter dem Gewicht der sich auftürmenden Krisen längst in massive Existenzängste verwandelt. Doch jede Krise birgt auch in sich die Chance auf Veränderung, verweisen doch etwa im Chinesischen die Wörter Krise und Chance auf dasselbe Schriftzeichen. Zeit für die Politik und Zivilgesellschaft aufzuwachen und sich für eine neue Form des Miteinanders zu engagieren. Das Ende der Selbstverständlichkeiten könnte dabei helfen.

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  • Johannes Gelich

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