Brigitte Schwens-Harrant

ORF/JOHANNES PUCH

Gedanken für den Tag

Sylvia Plath

Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", beleuchtet Leben und Schreiben der vor 90 Jahren, am 27. Oktober 1932, in Massachusetts geborenen Lyrikerin Sylvia Plath

"Obwohl Geburt und Sterben sich statistisch mehr oder minder die Waage halten, sind Geburten ein kaum besungenes Ereignis. Gebären ist wohl Frauensache, und man überlässt die nicht zu übersehende Unvermeidlichkeit des Vorgangs den dichtenden Müttern, deren es nicht sehr viele gibt."

Das schrieb Ruth Klüger im Oktober 2019, ein Jahr vor ihrem Tod, in einem Beitrag zur "Frankfurter Anthologie". In diesem stellte sie ein Gedicht von Sylvia Plath vor, das sie selbst übersetzt hatte. Thema: die Geburt. Titel: Morgenlied.

"Die Liebe hatte dich wie eine dicke goldene Uhr aufgezogen.
Die Hebamme haute auf deine Sohlen, und dein nackter Schrei
Fand seinen Platz bei den anderen Elementen."

"Es gibt nur wenige Gedichte über dieses elementarste (.) aller Ereignisse, was erstaunlich ist, wenn man die Vielfalt der Poesie über den Tod und die endlosen lyrischen Varianten über das Sterben bedenkt", vermerkte Ruth Klüger, die Schriftstellerin, die Literaturwissenschaftlerin, die Schoa-Überlebende, die Mutter. Wie gut, dass sie daran erinnerte, welche Texte die am 27. Oktober 1932 geborene Dichterin Sylvia Plath verfasst hatte, die so oft nur von ihrem Tod her gelesen und interpretiert werden. Was für eine Sprache wird hier in der Sprache der Übersetzerin sichtbar und hörbar, wenn es in der nächsten Strophe weiter heißt:

"Unsere Stimmen verstärken deine Ankunft. Neue Statue
In einem zugigen Museum. Deine Nacktheit beschattet
Unsere Sicherheit. Wir stehn da, wie leere Wände."

Der Blick auf das Wunder Leben spricht aus diesem Text und seinen Bildern.
Und das Gedicht endet mit der Poesie am Anfang unser aller Leben:

"Dein katzenreiner Mund öffnet sich.
Der Fensterrahmen
Wird heller und schluckt seine dumpfen Sterne.
Und jetzt probierst du
Deine Handvoll Musiknoten;
Die klaren Vokale schweben wie Luftballons."

Service

Sylvia Plath, "Ariel", Suhrkamp 2008
Ruth Klüger, "Sylvia Plath: Morgenlied", Frankfurter Allgemeine 2019


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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner geb.1955
Gesamttitel: ELISA / Original Filmmusik
Titel: Nocturne II/instr.
Solist/Solistin: Konrad Mastylo
Orchester: Sinfonia Varsovia
Leitung: Zdzislaw Szostak
Länge: 01:57 min
Label: Philips 5267502

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