Zwischenruf

Wahlsonntag

Marco Uschmann, evangelisch-lutherischer Pfarrer im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, über demokratische Wahlen

Heute ist Wahlsonntag. Als Pfarrer fällt mir dazu auf: Zu Demokratie findet sich in der Bibel wenig. Als es darum ging, einen zwölften Apostel zu finden - Judas war ja ausgefallen wegen des Verrats an Jesus - ließen die anderen das Los entscheiden. Freilich wurden Kriterien genannt, wer sich der Auswahl stellen darf, wie es in der Apostelgeschichte im ersten Kapitel steht. Als dann zwei Männer zur Auswahl stehen, wird aber nicht gewählt, sondern erst gebetet und dann das Los geworfen. Ein Gottesentscheid, wenn man so will.

Das scheint mir nicht der richtige Weg zu sein für die Wahl eines Bundespräsidenten - eine Bundespräsidentin kann ja leider nicht gewählt werden, weil diesmal keine Frau zur Wahl steht. Die Wahl heute ist eine lang erprobte und gute Form, ein Staatsoberhaupt - oder eine Regierung zu wählen. Auf demokratischem Weg. Vielen von uns scheint das selbstverständlich, weil sie keine andere Art und Weise kennengelernt haben, eine Regierung oder den Präsidenten zu finden, als auf demokratischem Weg. Dass dies nicht selbstverständlich ist, wird uns gerade vorgeführt in den von Russland eroberten Gebieten, die zur Ukraine gehören. Die sogenannten Volksentscheide dort sind wie es kompetente Beobachter bestätigen eine Farce: Menschen werden gezwungen abzustimmen, und zwar so, wie es die russische Staatsführung will. Auch die Zeiten des Unrechtsstaates der Deutschen Demokratischen Republik - die alles andere als demokratisch war - ist erst gute 30 Jahre her. Ich könnte etliche weitere Beispiele aufzählen. Sie alle zeigen: Demokratie ist nicht selbstverständlich, und Demokratie ist verletzlich. Anders gesagt: Demokratie ist ein wertvolles Gut, das es hochzuschätzen gilt.

Das wissen auch evangelische Kirchen: Hier werden alle Ämter gewählt, angefangen vom Bischof oder der Bischöfin, über Superintendenten und Superintendentinnen bis hin zu Pfarrerinnen und Pfarrern. Und es ist wie immer in demokratischen Verfahren: Sie können mühsam sein und Zeit kosten, aber es gibt aus meiner Sicht keine Alternative. Das wusste auch schon Winston Churchill. Der frühere britische Premierminister sagte einmal:

"Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Denn natürlich kommen bei Wahlen auch Entscheidungen zustande, die nicht allen gefallen. Das gehört dazu und das gilt es auszuhalten. Die nächsten Wahlen kommen ja bestimmt - allerdings nur dann, wenn die Demokratie lebendig bleibt und am Leben erhalten wird. Dafür muss, wie die jüngsten Beispiele zeigen, einiges getan werden. Das Mindeste und Einfachste ist es, an demokratischen Wahlen teilzunehmen. Denn das ist zunächst einmal ein Zeichen, das deutlich zeigt: "Ja, freie Wahlen sind wichtig und sie sollen Grundlage sein für den Staat, in dem ich lebe." Und dieses Zeichen kann gar nicht deutlich und stark genug in die Welt gerufen werden. Das ist eine Art Selbstvergewisserung und Konsens, dass die Bürgerinnen und Bürger auf demselben demokratischen Fundament stehen.

Freilich: Die Bibel berichtet es anders. Denn ihr es ging darum, von der wachsenden Gemeinde zu erzählen. So war der Losentscheid gut und richtig für die Apostel damals. Für uns heute ist das keine Lösung. Für uns gilt es, die Demokratie zu stärken. Daher mein Aufruf: "Wählen gehen!"

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jesse Harris
Album: ONE QUIET NIGHT
Titel: Don't know why/instr.
Solist/Solistin: Pat Metheny /Gitarre
Länge: 03:08 min
Label: WB 9362484732

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