Mythen und Geschichten

20. Oktober 2022, 06:56

"Von der Bitternis sing, Göttin - von Achilleús, dem Sohn des Peleús,
seinem verfluchten Groll, der den Griechen unsägliches Leid brachte und die Seelen zahlloser Krieger hinab in das Haus des Hades sandte / die blutvollen Leben dann nur noch Fleisch, an dem die Hunde fraßen, den Vögeln ein Festmahl, und wie Zeus' Wille sich dadurch erfüllte."

So beginnt die Übersetzung der Ilias von Raoul Schrott. Der Übersetzung wurde Ungenauigkeit vorgeworfen. Allzu große Freiheit, poetische Willkür. Ich liebe diese Übersetzung, liebe sie fast so sehr wie die von Voß. Johann Heinrich Voß hat einen Sound kreiert, der bis heute die Lektüre des Homer bestimmt. Der Ton ist wunderbar, wunderbar altmodisch, wunderbar betulich auch. Egal, wo ich den Voß aufschlage, sei es in seiner Odyssee, sei es in seiner Ilias, ich bin entzückt. Es ist, als werde ein Schalter in meinem Herzen umgeschlagen.

Aber, und dies soll um Himmels willen kein Vorwurf sein, manchmal kann man sich nicht des Gefühls erwehren, hier kämpfen keine brutalen Soldaten gegeneinander, sondern Oberstudienräte. Wenn Raoul Schrott den Agamemnon und den Achill aufeinandertreffen lässt, dann stehen sich zwei Testosteron gesteuerte Widerlinge gegenüber, und diese Sehweise zeigt uns den Homer gewiss realistischer als der bildungsbürgerliche, wunderbare Johann Heinrich Voß. Ich lege gern die beiden Bücher nebeneinander, lasse mich einmal von dem swingenden Sound des Johann Heinrich Voß betören und einmal verstören von der harten Gegenwartssprache des Raoul Schrott.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler