Alkoholflaschen

DPA/JENS BÜTTNER

Medizin und Gesundheit

Alkoholsucht in Österreich

Zwischen Partyspaß und gut gehütetem Geheimnis

Statistisch gesehen trinkt jeder Österreicher rund 240 Liter Bier im Jahr - das ist mehr als in eine Badewanne passt. Bei Frauen wäre die Badewanne eher mit Sekt gefüllt. Sie greifen vermehrt zu alkoholischen Getränken, die als risikoärmer und sozial angepasster gelten. Alkoholismus ist ein Problem inmitten der Gesellschaft, einige der Personen, die Sie aus ihrem unmittelbaren Umfeld oder auch aus Film und Fernsehen kennen haben oder hatten ein Problem mit Alkohol. Nach Schätzungen sind fünf Prozent der Bevölkerung alkoholabhängig, etwa 370.000 Personen, ein Drittel davon sind Frauen. Es ist demnach kein Randgruppenphänomen von Menschen, die auf Bahnhöfen anzutreffen sind.
Immer mehr Betroffene wenden sich an die Öffentlichkeit, um genau dafür mehr Bewusstsein zu schaffen und das Problem zu enttabuisieren. Denn der Konsum ist zwar gesellschaftlich anerkannt, die Sucht aber nicht.
So hat es auch die junge Journalistin Eva Biringer gemacht und das Buch "Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen" mit ihrer Geschichte veröffentlicht. Master-Universitätsabschluss, erwerbstätig und alkoholabhängig. "Ich wollte mehr Raum, mehr Gefühl, mehr Aufregung, mehr mehr".

Während Männer eher aus hedonistischen Gründen trinken, also um Spaß in der Gruppe zu haben, greifen Frauen großteils aus funktionalen Gründen zum Glas. Um Spannungen abzubauen und mit Belastungen umzugehen. Die Klinische- und Gesundheitspsychologin Dr.in Barbara Schreder-Gegenhuber beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Gender und Sucht. "Von Frauen wird häufig erwartet, dass sie Eigenschaften mitbringen, die mit ‚Mütterlichkeit' verbunden sind: Fürsorglichkeit, Verständnis, Anspruchslosigkeit gegenüber sich und den eigenen Bedürfnissen. Zum einen sind diese Erwartungen an Frauen in vielen Lebensbereichen noch deutlich spürbar, zum anderen verändern sich die sozialen Rollen zunehmend, was wiederum zu Rollenunsicherheit und Mehrfachbelastungen führt, die die Entstehung einer Suchterkrankung begünstigen können", so Barbara Schreder-Gegenhuber. Aber auch Missbrauchs- und Gewalterfahrungen sind häufig Faktoren, die zum Entstehen einer Alkoholsucht beitragen.

Da sich die weibliche Suchterkrankung stark von der männlichen unterscheidet, es aber kaum frauenspezifische Suchttherapie-Angebote gibt, gründete Barbara Schreder-Gegenhuber die "Gesundheitsgreisslerei", eine Institution ausschließlich für Frauen mit Suchterkrankungen. Es war ihr wichtig, einen geschützten Raum zu schaffen, in dem sich Frauen nur um sich selbst kümmern. Der Bedarf ist da - denn der Anteil an süchtigen Frauen nimmt zu. Trotz allem ist die weibliche Sucht nicht so sichtbar, denn Frauen trinken versteckter. In vielen Fällen gibt es zwar ein Alkoholproblem, aber das Leben mit Job und Familie funktioniert - nach außen. Dieses Phänomen hat einen Namen: high functioning alcoholic (= "hochfuktionaler Alkoholiker"). So erging es auch Eva Biringer. Sie hat nie eine Deadline verpasst, viele ihrer Bekannten wussten nicht, wie es tatsächlich in ihr aussah. Barbara Schreder-Gegenhuber würde sich wünschen, dass Frauen früh genug Beratungsstellen aufsuchen, bevor sich also eine massive Abhängigkeitserkrankung entwickelt, die einen geregelten Alltag unmöglich macht. Denn die meisten kommen viel zu spät.

Verwandte und Freunde, die das Problem einer Alkoholsucht bemerken, wissen oft nicht, wie sie sich am besten verhalten sollen. Dr. Wolfgang Beiglböck, Klinischer Psychologe und Psychotherapeut am Anton Proksch Institut, rät das Gespräch zu suchen und darauf zu achten, dass man nicht co-abhängig wird. Denn im guten Glauben, dem geliebten Menschen zu helfen, nimmt man ihm die Probleme ab. Man erhofft sich, dass der Betroffene nun etwas gegen seine Krankheit unternimmt, aber für ihn gibt es dazu immer weniger Gründe, wenn ihm die Probleme zur Seite geschafft werden. "Suchen Sie als Angehöriger in einer Suchtberatungsstelle professionellen Rat, Helfen ist wichtig, aber richtig Helfen", so Wolfgang Beiglböck.

In Österreich gibt es diverse Anlaufstellen für alkoholkranke Menschen. Es ist ratsam, den Hausarzt oder eine Selbsthilfegruppe zu kontaktieren, die dann an entsprechende Institutionen verweisen können. Je nach Schweregrad, Art der Abhängigkeit und weiteren Faktoren gibt es für jede/n das passende Therapieangebot: sei es ein stationäres oder ambulantes Entwöhnungsprogramm oder eine Therapie im Zuge einer Tagesklinik, unter anderem begleitet von Psychologinnen oder Psychotherapeuten. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Leiter der Aufnahmestation des Anton Proksch Instituts Dr. Johannes Zeiler betont: "Alkohol macht körperlich und psychisch abhängig. Vordergründig geht es darum, erst einmal einen körperlichen Entzug zu machen, aber das Wichtigste ist dann die Entwöhnungsbehandlung, die auch lange Zeit braucht."

Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Service

Zu Gast im Funkhaus Wien:

Eva Biringer
Journalistin, Autorin "Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen"
Betroffene
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Am Telefon:

Dr.in Barbara Schreder-Gegenhuber, MA
Klinische- und Gesundheitspsychologin
Geschäftsführerin des Schweizer Hauses Hadersdorf
Leiterin der "Gesundheitsgreisslerei", einer Institution für Frauen mit Suchterkrankungen
Columbusgasse 103
1100 Wien
Tel.: 01 / 890 45 43
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Dr. Wolfgang Beiglböck
Klinischer Psychologe und Psychotherapeut
Koordinator für Psychotherapie und Klinische Psychologie im stationären Therapiebereich des Anton Proksch Instituts und Leiter des therapeutischen Teams der Anton Proksch Tagesklinik
Gräfin-Zichy-Straße 6
1230 Wien
Tel.: +43 1/880 10
E-Mail
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Dr. Johannes Zeiler
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin
Leiter Aufnahmestation Anton Proksch Institut
Gräfin-Zichy-Straße 6
1230 Wien
Tel.: +43 1/880 10
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Weitere Info-Links und Anlaufstellen:

Gesundheit.gv.at: Alkoholabhängigkeit
Projekt "Alkohol leben können"
Sucht- und Drogenkoordination Wien
Blaues Kreuz: Alkoholhilfe für Betroffene und Angehörige
Momentum. Das österreichische Journal für positive Suchttherapie, Herausgegeben vom Anton Proksch Institut
Gesundheitsministerium: Handbuch Alkohol Österreich
Podcast "Donner Wetter Sucht. Ein Podcast für Eltern und Erziehende"
Österreichische Dialogwoche Alkohol: Testen Sie Ihren Alkoholkonsum
Ambulante Alkohol-Einrichtungen in Österreich nach Bundesland
Stationäre Alkoholeinrichtungen in Österreich nach Bundesland
Doku "Alkohol. Erfolgreiche Frauen und die Sucht"
Forum Alkohol adé
Podcast "Ohne Alkohol mit Natalie"

Buch-Tipps:

Eva Biringer, "Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen", Harper Collins 2022

Barbara Schreder-Gegenhuber, "Drogen - Vorurteile, Mythen, Fakte", Falter Verlag 2019

Nathalie Stüben, "Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens", Kailash 2021

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