Zwischenruf

Ordensleben

Sr. Christine Rod, katholische Theologin, erzählt über ihr Leben in einem Orden

Wenn ich nicht gerade zu arbeiten habe, dann komme ich bei meinen langen Bahnfahrten gerne einmal mit fremden Menschen in Kontakt. Wenn wir uns einigermaßen gut verstehen, dann kommt irgendwann die Frage: "Und wie leben Sie? Haben Sie auch Familie und Kinder?" Ich sage dann meistens: "Nein, ich bin Ordensfrau. Ich lebe in einer Ordensgemeinschaft, und ich habe dort eine etwas andere Familie." Ich lebe mit anderen Frauen zusammen; wir nennen uns Mitschwestern.

Da gibt es spannende Reaktionen, und mir kommt vor, bei meinem Gesprächspartner, meiner Gesprächspartnerin laufen sofort sämtliche Filme ab, was er oder sie jemals mit Ordensleuten erlebt hat. Erfreuliches oder nicht so Erfreuliches. Es kann sein, dass das Gespräch dann verstummt, oder es kann sein, dass es erst recht in Fahrt kommt.

Zugegeben, Ordensleben ist ein Lebensentwurf, der unter "Minderheitenprogramm" fällt. Ich erlebe bei meinen Begegnungen wenig Ablehnung, eher ein Staunen wie über ein etwas exotisches Wundertier. Um es gleich vorwegzunehmen: Ordensleute sind keine Wundertiere, auch keine blutleeren Geschöpfe, der Welt enthoben, völlig abgeklärt, niemals aus der Fassung zu bringen, bereits mit allen Weisheiten des Lebens ausgestattet.

Was ist es aber, was wir Ordensleute sind und was wir zu leben versuchen? Ich greife zwei Aspekte heraus. Wir versuchen, spirituelle Menschen zu sein, offen für eine größere Wirklichkeit, so wie viele andere Menschen auch. Weil es doch - davon sind wir überzeugt - im Leben mehr als alles geben muss. Wir haben eine gemeinsame Lebenskultur und einen Rhythmus dafür. Ich muss mir nicht jeden Tag neu überlegen: Mag ich heute beten, oder bin ich vielleicht schon zu müde dafür? Wann habe ich heute Zeit für die Meditation? Wann bringe ich eine halbe Stunde der Unterbrechung unter? Wir haben eine Struktur dafür, die - wie jede gute Struktur - kein einengendes Korsett, aber doch ein hilfreicher Rahmen ist, um Arbeit, Freizeit, Beziehungen und Gebet in eine Balance zu bringen und um das zu leben, was mir wirklich wichtig ist.

Apropos Struktur: Ob im Zusammenhang mit Spiritualität oder nicht - mein Eindruck ist, dass Struktur ein ewig spannendes Thema ist, vielleicht sogar mit einer neuen Aktualität. Gerade in Corona- und in den damit verbundenen Homeoffice-Zeiten war ein unendlich gestiegenes Maß an Eigenständigkeit und auch Alleinsein gefordert. Dazu kam noch ein vielerorts steigender beruflicher Druck, der so manche ohne Struktur und Unterbrechung arbeiten hat lassen und bis an den Rand ihrer Lebenslust und ihrer Belastbarkeit gebracht hat. Ein bewusst gestalteter Tageablauf mit Zeiten der Ruhe und des achtsamen Hinhörens - wie wir ihn in den Orden haben - kann da als spannende Alternative gesehen werden.

Ein zweites Element aus dem Ordensleben: Neben dem eben beschriebenen gleichsam auferlegten Druck erlebe ich in meiner Umgebung gleichzeitig ein ständiges Immer-mehr, Immer-größer, Immer-schöner. Selbstverständlich kenne ich das auch persönlich. Aber ich lerne in meinem Ordensleben - langsam, aber doch, dass ich genug zum Leben bekomme. Gerade jetzt, wo die Klimakrise in Sharm El Sheik auf der UNO-Konferenz behandelt wird, ist es mir wichtig, mich gründlich daran zu erinnern. "Es ist genug", begreife ich immer wieder, wenn mich wieder einmal die Unersättlichkeit nach noch mehr, noch besser, noch schöner überkommt.


Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Thelonious Monk
Album: REFLECTIONS
Titel: Reflections/instr.
Solist/Solistin: Dollar Brand /Piano
Länge: 04:12 min
Label: Black Lion 760127

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