César Franck an der Orgel von Ste-Clotilde, Zeichnung von Jeanne Rongier

GEMEINFREI

Gedanken für den Tag

César Franck

Der Dirigent und Autor Martin Sieghart über den "bescheidenen Meister" zu dessen 200. Geburtstags

Ich habe gestern am Abend Francks "Symphonische Variationen" für Klavier und Orchester angehört. Mit dem großartigen Jean Yves Thibaudet am Klavier, einem besonders liebenswerten und angenehmen Partner am Podium.

Pianisten sind überhaupt, diese Erfahrung habe ich in vielen Jahren gemacht, sehr offene und meist auch bescheidene Menschen. Je besser, desto bescheidener. Ist bei uns Dirigenten eher nicht so weit verbreitet. Und ich war beim Zuhören begeistert. Und fragte mich, warum diese herrliche Musik dennoch keinen festen Platz in den Konzertsälen der Welt erobern konnte. Ist sie zu ehrlich, zu wenig auf Erfolg angelegt? Genügt sie sich selbst in sympathischer Weise und will gar nicht bejubelt werden? Ich bemerke: Auch ich habe noch viel zu wenig Franck gehört, gespielt, dirigiert. Ich bitte ihn um Verzeihung dafür.

Ich habe von seinen frühen Erfolgen als Wunderkind am Klavier erzählt. Ein junger Meisterpianist, der sogar vor König Leopold I., dem Großvater unserer viel zu wenig geschätzten Kronprinzessin Stephanie, spielen durfte. Und vom Scheitern dieser Karriere, wohl zu einem nicht kleinen Teil der Person seines Vaters geschuldet. War es eine Flucht, vom Pianisten zum Organisten zu werden? Dies zu beurteilen steht heute niemandem an. Dass er nach einigen Stationen schließlich 1858 Organist an der Kirche der Sainte Clotilde in Paris geworden ist und diese Position bis zu seinem Tode innehatte, lässt mich vermuten, dass dieses Instrument seine wirkliche Berufung gewesen ist.

Man liest, dass er ein ganz großer Meister der Improvisation gewesen sei, aus den 46 Registern dieser berühmten Orgel unglaubliche klangliche Kombinationen gezaubert hat. Mein bescheidenes Orgelspiel, das ich früher an verschiedenen Wiener Kirchen ausüben durfte, lässt mich ahnen, was Franck den Parisern Woche für Woche geschenkt hat. Und der bescheidene Mann war sich nicht zu gut, auch Kollegen geringeren Könnens Kompositionen zu schreiben, die sie bewältigen konnten. Ich habe es erwähnt: Er muss ein ungemein lieber Mensch gewesen sein.

Service

Martin Sieghart, "Übergänge. Ein Musikerleben in 50 Kapiteln", Hollitzer 2021

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: César Franck 1822 - 1890
Album: JEAN-YVES THIBAUDET: KLAVIERKONZERTE VON SAINT-SAËNS & FRANCK
Titel: Symphonische Variationen für Klavier und Orchester in fis-moll
Anderssprachiger Titel: Variations symphoniques
Solist/Solistin: Jean-Yves Thibaudet
Orchester: Orchestre de la Suisse Romande
Leitung: Charles Dutoit
Länge: 15:45 min
Label: Decca 4758764

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