Eine Frau hält sich den Rücken

APA/ARNO BURGI

Medizin und Gesundheit

Frauenmedizin

Noch immer zu wenig im Fokus


Rund die Hälfte der Weltbevölkerung ist weiblich - die Medizin, ihre Forschung und die Entwicklung der Arzneimittel ist trotz dieses Faktums aber sehr männlich dominiert.
Das kann für Frauen fatale Folgen haben. Bekanntes Beispiel Herzinfarkt - da haben Frauen ganz andere Symptome als Männer und daher wird der Infarkt bei ihnen oft nicht richtig diagnostiziert.

Frauenkörper funktionieren anders

Und auch wenn in den letzten Jahren etwas Bewegung in den Bereich gekommen ist: "Frauengesundheit" wird nach wie vor oft nur auf den Bereich der Gynäkologie bezogen. "Wir sind weiblich, weil alle unsere Organe und Zellen weiblich sind", bekräftigt Primaria Univ.-Prof.in Dr.in Barbara Maier, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe: "Diese Tatsache ist noch immer zu wenig die Basis unseres ärztlichen Handelns. Denn wir haben Männern und Frauen immer dieselben Medikamente gegeben, wo sich doch der Stoffwechsel deutlich unterscheidet. Das merkt man z.B. auch beim Alkohol: Er wird von Männern und Frauen im Körper anders aufgenommen, das ist eine Rezeptorfrage. Dann Stichwort Diabetes-Richtlinien: Die sind weiterhin stark an Männern orientiert, obwohl Frauen gesondert betrachtet werden müssten."

Was hinter den Beschwerden stecken kann

Bei vielen Erkrankungen sind Physis und Psyche eng miteinander verbunden, d.h. die psychische Gesundheit von Frauen ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema. Assoc. Prof.in Katharina Leithner-Dziubas leitet die Psychosomatische Frauenambulanz der MedUni Wien und sagt: "Die Frauen kommen oft mit Schmerzen, mit nicht klaren psychosomatischen Beschwerden zu uns. Aber auch mit sexuellen Problemen oder Zyklusstörungen. Da geht es im Hintergrund oft um einen unerfüllten Kinderwunsch, Trauer nach einer Fehl- oder Totgeburt, um Depressionen oder Angstzustände während der Menopause und vieles mehr. Sehr häufig auch um erlittene Gewalt. Eine eigene Gruppe sind Krebspatientinnen, die wir psychoonkologisch betreuen. Es ist insgesamt ein spannendes, ein wichtiges und ein weites Feld."

Hormone machen einen Unterschied

Barbara Maier: "Bei Frauen sind Hormone ab der Pubertät, bis zur Prämenopause und auch während der Menopause ein wichtiger Faktor. Dadurch ergeben sich auch andere Schwerpunkte, andere Dispositionen und Erkrankungen. Die Frage für uns ist doch: Wie gehen wir als Ärztinnen und Ärzte daran heran? Simone de Beauvoir hat Mitte des letzten Jahrhunderts ihr sozialgeschichtliches philosophisches Werk "Das andere Geschlecht" geschrieben. Es gibt so viele unterschiedliche Facetten. Auch in der Transplantationsmedizin: In den USA gibt es viele schwarze Frauen als Spenderinnen und viele männliche weiße Empfänger ."

Traumata können über Generationen hinweg wirken

Katharina Leithner-Dziubas ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin: "Traumen werden nicht nur in die Psyche, sondern auch in der Physis eingeschrieben. Und sie werden oft von Generation zu Generation weitergegeben. Wir haben gerade eine Studie zu transgenerationaler Geburtserfahrung begonnen. Wir befragen Großmütter, deren Töchter und Enkelinnen. Wenn es innerhalb einer Familie bei der Geburt schlimme Erfahrungen gab oder wenn es zu Aborten und Totgeburten kam, können diese Erlebnisse über Generationen hinweg weiterwirken."

Wohin soll der Weg führen?

Frauen unterscheiden sich in ihrem Gesundheitsverhalten und ihren Krankheitsverläufen häufig erheblich von Männern. Für eine gesundheitsbezogene Chancengleichheit wäre die Einbeziehung frauenspezifischer Aspekte in die Gesundheitsforschung und -förderung sowie in die Prävention und Versorgung zentral. Ziel wäre, die aktuellen Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien in Bezug auf frauenspezifische Gesundheitsfragen verstärkt ins Gesundheitswesen zu integrieren.

Die aktuelle Ausgabe von "Medizin und Gesundheit" rückt die Frau, ihren Körper, ihre Psyche sowie die nötigen Veränderungen im Gesundheitssystem in den Mittelpunkt.

Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Dr.in Maria Harmer
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Lydia Sprinzl, MA

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Waren Sie selbst Herzinfarkt-Patientin und wurden nicht sofort richtig diagnostiziert? Hätte Ihnen eine stärker implementierte Frauenmedizin den Leidensweg verkürzt?

Haben Sie als Patientin "Gendermedizin" bereits selbst erlebt? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Leiden Sie unter PMS? Unter unerfülltem Kinderwunsch oder physischen und/oder psychischen Belastungen im Zusammenhang einer reproduktionsmedizinischen Behandlung? Wie haben Sie Hilfe erfahren?

Kennen Sie die Psychosomatische Frauenambulanz am AKH in Wien?

Sind transgenerationelle Traumata ein Thema in Ihrer Familie? Und wie stellen Sie sich ihnen?

Service

Zu Gast im Studio:

Prim.a Univ.-Prof.in DDr.in Mag.a Barbara Maier
Vorständin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik Ottakring
Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe
Montleartstraße 37
1160 Wien
Tel: +43 1 491 50-4708
E-Mail
Homepage

Assoc. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Katharina Leithner-Dziubas
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherpeutische Medizin, Psychoanalytikerin (WPV)
Stellvertretende Klinikleiterin für Psychoanalyse und Psychotherapie und Leiterin der Psychosomatischen Frauenambulanz
Univ.-Klinik für Psychoanalyse & Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Telefon: +43 1 40400 36350
E-Mail
Homepage

Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Österreichische Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe DGPFG e.V.
Frauengesundheit und Gendermedizin (inklusive der Dokumentation der FrauenGesundheitsDialoge 2017-2022)
Österreichischen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin
Deutsches Ärzteblatt: Psychosomatik in der Gynäkologie: Was im Alltag zu kurz kommt
Uniklinik Bonn: Gynäkologische Psychosomatik
Gesundheitsportal Österreich: Gendergesundheit

Buch-Tipps:

Anke Rohde, Andrea Hocke, Almut Dorn, "Psychosomatik in der Gynäkologie. Kompaktes Wissen - Konkretes Handeln", Schattauer 2018

Johannes Huber, "Wunderwerk Frau", Gräfe und Unzer 2022

Alexander Kugelstadt, "Dann ist das wohl psychosomatisch! Wenn Körper und Seele SOS senden und die Ärzte einfach nichts finden", Goldmann 2022

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