Von der Geburtlichkeit des Menschen

21. Dezember 2022, 06:56

Bei meinem Sozialeinsatz in einem Compound, einer Sozialstation der Missionaries of Charity im Süden von Äthiopien habe ich im Sommer 2015 die Schwestern unterstützen dürfen bei der Betreuung von alten und kranken Menschen, von unterernährten Kindern und von Frauen mit ihren Babys, die kein Zuhause hatten.

Wir Voluntärinnen haben bei der Essensausgabe und anderen Arbeiten geholfen, mit den Kindern gespielt und den Frauen einfache Tätigkeiten gezeigt, wie Knöpfe annähen. Die Armut der jungen Frauen mit ihren Babys berührte mich besonders, Spielzeug gab es so gut wie gar nicht, auch keine Schnuller und Windeln und nur wenige Kleidungsstücke. Als ich wieder einmal ein weinendes Baby aufhob und zu seiner Mutter brachte, wollte diese es erst nicht annehmen und drückte es mir tief in die Arme. "Please take it, take it to Europe," hat sie zu mir mit flehenden Augen gesagt. Sie wollte ihrem Kind eine bessere Zukunft ermöglichen, als sie ihm bieten konnte - dafür hätte sie es auch mir anvertraut. Als die Mutter ihr Kind dann voll Liebe zu sich nahm, küsste und ihm beruhigend etwas vorsang, sind mir die Tränen in die Augen gestiegen.

Die deutsch-us-amerikanische Philosophin Hannah Arendt hat in ihrem Werk "Vita activa - Vom tätigen Leben" von der Natalität, der Geburtlichkeit des Menschen geschrieben: Jedes Neugeborene ist für die ganze Welt die Chance zur Besinnung, zur Umkehr und zum Neuanfang. Hannah Arendt hat damit die christliche Weihnachtsbotschaft verweltlich: Nicht nur in der Geburt Christi, sondern in der Geburt jedes Kindes liegt eine Hoffnungsperspektive für die Welt.

Mensch sein bedeutet die Geburtlichkeit des Menschen ernst zu nehmen und immer wieder neu Verantwortung zu übernehmen, für das, was uns anvertraut ist - im Großen und im Kleinen. Und Mensch-Werden bedeutet, dafür immer wieder neue Hoffnung zu fassen.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler