Gedanken für den Tag

Nesthäkchen und die Religion

Ingrid Pfeiffer, Germanistin, über Else Ury, anlässlich des 80. Todestages der in Auschwitz ermordeten Schriftstellerin

"55 Jahre war sie eine Deutsche. Dann wurde sie zur Jüdin gemacht", schreibt Else Urys Biografin. Ob sie es auch selbst so empfunden hat, diese Else "Sarah" Ury?

Ihre Familie war zwar bürgerlich und liberal gesonnen, doch wurden, solange der Vater lebte, die jüdischen Traditionen aufrechterhalten. Und in der Schule, die sie besuchte, gab es parallel zum christlichen auch jüdischen Religionsunterricht.

Als Else Ury aufgefordert wird, ebenfalls auszuwandern, begründet sie ihr Bleiben so: "Wenn meine Glaubensgenossen bleiben, dann habe ich so viel Mut, Charakter und feste Entschlossenheit, ihr Los zu teilen." Das war schließlich auch ihr Schicksal. Enteignet, literarisch und persönlich verfemt, wurde sie als alte Frau, direkt nach ihrer Ankunft in Auschwitz ins Gas geschickt.

In ihren Büchern jedoch fehlen Darstellungen jüdischer Traditionen fast ganz. Und doch sind sie nicht areligiös oder gar antireligiös. Gottvertrauen gehört zu den stabilisierenden Faktoren, zur allgemein gültigen Basis der Lebensführung. Es ist präsent und drückt sich auch im Sprachgebrauch vieler Figuren aus. Konfessionell gebunden ist es aber selten. Doch es gibt junge Menschen, die sich mit großer Ernsthaftigkeit auf ihre Konfirmation vorbereiten. Und die Schilderung des Weihnachtsfests, als zentralem Familienfest, fehlt in kaum einem ihrer Bücher. Aber es ist eben als Familienfest und kaum als christliches Fest dargestellt.

Die Überkonfessionalität von Else Urys Büchern wird zu ihrer weiten und anhaltenden Verbreitung beigetragen haben, denn Kinder aller Konfessionen konnten sich mit den Heldinnen identifizieren. Mir erscheint das nicht als schriftstellerisches Kalkül, sondern als Ausdruck kultureller Assimilation, die Else Urys Leben schließlich mehr bestimmt hat als ihre jüdische Abstammung.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus MOZART 27.1.1756 Salzburg - 5.12.1791 Wien
Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart 1756 - 1791
Album: MOZART - KAMMERMUSIK
* 3. Menuetto; Allegretto, Trio - 3.Satz (00:02:11)
Titel: Eine kleine Nachtmusik - Serenade Nr.13 in G-Dur KV 525
Orchester: Orpheus Chamber Orchestra
Länge: 02:11 min
Label: DG 4191922

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