Susan Sontag

Susan Sontag - GEMEINFREI/PETER HUJAR

Gedanken für den Tag

Susan Sontag über Bilder der Gewalt

Brigitte Schwens-Harrant, Literaturwissenschafterin und Buchautorin, über die New Yorker Autorin anlässlich deren 90. Geburtstags

"Wo es um Fotos geht, wird jeder zum Buchstabengläubigen", schrieb Susan Sontag, die sich zeitlebens mit Fotografie auseinandergesetzt hat. Dabei kann doch auch jedes Foto täuschen, es "wartet auf eine Bildlegende, die es erklärt - oder fälscht."

In dem 2003, ein Jahr vor ihrem Tod, erschienenen Buch "Das Leiden anderer betrachten" setzte sich die Schriftstellerin und Essayistin mit "Fotografien von Kriegsopfern" auseinander. Diese "sind selbst eine Art von Rhetorik. Sie insistieren. Sie vereinfachen. Sie agitieren."

Und wie reagieren Betrachter auf Bilder, in denen verstümmelte Menschen zu sehen sind? "Fotos von einer Greueltat können gegensätzliche Reaktionen hervorrufen", meint Sontag. "Den Ruf nach Frieden. Den Schrei nach Rache. Oder einfach das dumpfe, ständig mit neuen fotografischen Informationen versorgte Bewusstsein, dass immer wieder Schreckliches geschieht."

Dass Menschen abstumpfen, wenn sie immer wieder Bilder von Grausamkeit und Gewalt, von Verletzten oder Toten sehen. Das meinte Sontag noch 1977 in ihren Essays "Über Fotografie". 2003 war sie sich diesbezüglich nicht mehr sicher. Was wäre außerdem die Folge? Müsste dann ein Wächterrat die Schrecken rationieren, zensurieren? Wohl kaum. Zudem würden die Schrecken ja nicht weniger, gäbe es nur weniger Bilder davon.

Auch wenn solche Fotos "nur Markierungen sind und den größeren Teil der Realität, auf die sie sich beziehen, gar nicht erfassen können, kommt ihnen eine wichtige Funktion zu, so Sontag. Die Bilder sagen: Menschen sind imstande, dies hier anderen anzutun - vielleicht sogar freiwillig, begeistert, selbstgerecht. Vergesst das nicht."

Doch Sontag sind auch folgende Fragen dazu wichtig: "Solche Bilder können nicht mehr sein als eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit, zum Nachdenken, zum Lernen (...). Wer hat das, was auf dem Bild zu sehen ist, verursacht? Wer ist verantwortlich? Ist es entschuldbar? War es unvermeidlich? Haben wir eine bestimmte Situation bisher fraglos akzeptiert, die in Frage gestellt werden sollte?"

Service

Susan Sontag, "Das Leiden anderer betrachten", Fischer TB

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: The Doors
Album: TWELVE
Titel: Soul kitchen
Solist/Solistin: Patti Smith
Länge: 03:45 min
Label: Sony BMG 82876872512

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