Kinder rodeln

APA/HERBERT PFARRHOFER

Gedanken für den Tag

Martin Schenk über die Angst

Martin Schenk, Psychologe und Sozialexperte der Diakonie Österreich beschäftigt sich mit dem, "Was Kindern jetzt gut tut"

Der Bursche hat eine klassische Heimkarriere durchlaufen. Schon als kleines Kind war Raphael mit einer massiven Überbelastung seiner Familie konfrontiert. Er reagierte mit Auszucken. Seine Familie bleibt instabil und kann das Kind nicht adäquat versorgen.

Die "Zerrissenheit", die Raphael spürt, belastet seine Entwicklung sehr stark. Insbesondere in der Schule verstärken sich Frustration, Versagensängste, Wut und Aggression. In der Wohngemeinschaft, in die er als Jugendlicher kommt, gelingt es, Vertrauen aufzubauen, ihm Sicherheit und Stabilität zu geben. "Ich kann doch etwas", ist Raphaels erstmalige Erfahrung. Dann kommt der Sprung zur Lehre. Beim Betrieb mögen sie den Burschen. Sie finden sogar, er ist super.

Durch die Verzögerung und vielen Schleifen in seiner Entwicklung wird Raphael nun im ersten Lehrjahr 18 Jahre alt. Das heißt: Im ersten Berufsschuljahr muss er am Jahresende gesetzlich die WG verlassen und ohne Nachbetreuung seinen Weg alleine bestreiten. Seine Familie ist nicht in der Lage Unterstützung zu leisten. Aktuell werden in Österreich ein viel zu geringer Teil der Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem 18. Geburtstag verlängert. Wie wird es mit Raphael weitergehen?

Es gibt zwei Szenarien: Wenn er allein bleibt, werden ihn wohl seine Versagensängste wieder einholen: "Das schaffe ich nicht", "Ich kann es gleich bleiben lassen". Mit der Unterstützung vertrauter Menschen kann er es aber schaffen, vielleicht sogar einer der wenigen werden, die die Berufsschule mit sehr gutem Erfolg abschließen. Ohne diese Unterstützung aber wird er wohl das machen, was er über lange Zeit vorher eintrainiert hat, es sich - weil er Scheitern befürchtet - selbst zerstören. Die Angst vor der Angst ist teuflisch.

Jugendliche mit schwieriger Lebensgeschichte brauchen Begleitung und Betreuung über das 18. Lebensjahr hinaus. Diese Begleitung beugt Abstürzen vor. Die Hauptwährung dabei ist Vertrauen, die Lebensmittel sind Zuversicht und Orientierung. Mit nur drei Betreuungsstunden in der Woche könnte Raphaels Scheitern mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden. Das kostet nicht viel. Es wird uns allen aber ein Vielfaches kosten, wenn der Bursche kurz vor dem Ziel einfach allein gelassen wird.

Service

Martin Schenk, Hedwig Wölfl (Hg.), "Was Kindern jetzt gut tut. Gesundheit fördern in einer Welt im Umbruch", Ampuls-Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Conor Oberst
Titel: Persona Non Grata
Ausführende: Bright Eyes
Länge: 03:25 min
Label: Dead Oceans LC: 29265 ISRC: USJ5G2021008 EAN: 0656605151038

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