Kinder rodeln

APA/HERBERT PFARRHOFER

Gedanken für den Tag

Martin Schenk über Hass und Schmerz

Martin Schenk, Psychologe und Sozialexperte der Diakonie Österreich beschäftigt sich mit dem, "Was Kindern jetzt gut tut"

Es kann schnell gehen, dass Nachbarn zu Feinden werden. Wir haben nebeneinander und miteinander gelebt, erzählen mir Freunde aus dem ehemaligen Jugoslawien. Im selben Dorf, in derselben Straße. Wir waren damals Kinder. Plötzlich gab es kein Gespräch mehr, nur mehr Misstrauen, Hass und Angst.

Soll Hetze gegen eine bestimmte - meist schwächere Gruppe - erfolgreich sein, dann braucht es eine bestimmte Masse und die Erwartung, dass das eigene Tun keine persönlichen Folgen hat. Die Masse kann auf der Straße sichtbar sein, sie kann sich aber auch online auf social media organisieren. Ein wichtiger Grund für das schnelle Anwachsen der "Hetzmasse" - wie der LIteraturnobelpreisträger Elias Canetti das Phänomen nannte - ist die Gefahrlosigkeit des Unternehmens. Niemand habe eine Sanktion zu befürchten. Der Sündenbock muss folgenlos erlegbar sein. Nachdem das Opfer erledigt ist, zerfällt die Hetzmasse wieder, ihre Mitglieder kehren in ihren früheren, unbefriedigten Zustand zurück. Was bleibt: Unruhe und das Verlangen nach einem stärkeren Kick. Hetze wirkt wie Drogen. Um dieselbe Wirkung von vorher zu erzielen, muss beim nächsten Mal die Dosis erhöht werden.

Wir alle haben mit Verletzungen in unserem Leben zu kämpfen. Von Kindheit an. Verletzungen können durch Hass weitergetragen werden, wodurch sie noch mehr Schaden verursachen. Sie können unterdrückt werden und so den Fluss des Lebens zum Stillstand bringen. Oder sie können angenommen werden und so für die Herausforderungen des Lebens frei machen. "Ich vermute, einer der Gründe, warum Menschen so hartnäckig an ihrem Hass festhalten, ist, weil sie spüren: Wenn der Hass einmal verschwunden ist, werden sie gezwungen sein, sich mit Schmerz zu beschäftigen", bemerkt Schriftsteller James Baldwin.

Anderen Menschen Angst zu machen hilft manchen Leuten dabei, die Angst, die sie haben, nicht spüren zu müssen. Anna Freud hat ein Gespräch im Kinderkrisenheim belauscht: "Du musst nur spielen, dass du selber der gefährliche Mann bist, der dir begegnen könnte", so rät die ältere Schwester ihrem kleinen verängstigten Bruder. "Dann brauchst du dich nicht zu fürchten". Auf Dauer ein selbstzerstörerisches Spiel.

Service

Martin Schenk, Hedwig Wölfl (Hg.), "Was Kindern jetzt gut tut. Gesundheit fördern in einer Welt im Umbruch", Ampuls-Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Oberst
Album: Conor Oberst
LENDERS IN THE TEMPLE
Ausführende: Conor Oberst
Länge: 04:35 min
Label: Wichita/Edel WEBB175CD 5055036261753

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