Alina Dreyer

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Ein Herz im Meer

"Worte können schwerwiegende Probleme zwar oft nicht lösen, aber sie können uns in schwierigen Momenten den Rücken stärken", stellt Aline Dreyer, Schauspielerin und Dolmetschstudentin, fest

Mir fällt es schwer, loszulassen. Ich empfinde stark, ich kann mich schnell für Dinge und Menschen begeistern, aber genauso schnell lasse ich mich heftig enttäuschen, wenn sich etwas nicht so entwickelt, wie ich es mir schon bunt ausgemalt hatte. Egal, ob es eine Idee ist, die ich ziehen lassen muss, oder ein ganzer Mensch - es ist immer wieder anstrengend und schmerzhaft, und der Gedanke, dass ich nicht die Erste bin, die je mit der Vergänglichkeit der Dinge gehadert hat, hilft nur bedingt. "Loslassen" bereitet den meisten Menschen Schwierigkeiten. Manchen eben etwas öfter. Und mehr.

Manchmal wünsche ich mir, da nicht dazuzugehören. Von vornherein weniger an Vorstellungen festzuhalten, die Dinge weniger schwer nehmen zu müssen, letztendlich: weniger zu fühlen. Der Gedanke scheint mir manchmal wahnsinnig erleichternd. Auf Persisch gibt es einen Ausdruck, um zu beschreiben, dass jemand etwas Mutiges tut: del be darya zadan, "das Herz ins Meer werfen". "Ich habe mein Herz ins Meer geworfen." Ich habe am Ufer gestanden und wollte nicht nur aus dem Trockenen die unruhigen Wellen beobachten. Also habe ich weit ausgeholt, meine Faust an der höchsten Stelle geöffnet und mein Herz ins Meer geworfen wie ein Fischernetz ohne Seil.

Mut, Empfinden an sich, ist ein Kontrollverlust und ein sich-Aussetzen, der Möglichkeit, etwas zu verlieren und nicht wiederzubekommen. Manchmal heißt es, sein Innerstes preiszugeben und es in einem unberechenbaren Element zu versenken. In Tiefen, von denen man nicht weiß, wie viele Meter es sind, bis man wieder Boden unter den Füßen hat. Das Herz im offenen Meer: Turbulent, unkontrollierbar, und sicher nicht bestärkend, irgendetwas, an dem man sich so schön festhalten kann, loszulassen.

Aber auch das Herz kann schwimmen lernen. Und will ich wirklich am Strand bleiben, aus Angst, etwas Wasser zu schlucken? "Ich habe mein Herz ins Meer geworfen." Ich wollte wissen, was unter der Oberfläche passiert. Tiefer sehen. Und vielleicht dauert es lange, bis man es wieder findet, salzverkrustet und durchnässt an Land gespült - aber das Herz, anders als die Objekte seiner Begierde, taucht gewöhnlich doch immer wieder auf.

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Stéphane Grappelli
Gesamttitel: Renaud Capuçon: Un violon à Paris - LP-Edition / Seite B
Titel: Rolls / aus dem Film "Les Valseuses" / "Die Ausgebufften"
Solist/Solistin: Renaud Capuçon
Solist/Solistin: Guillaume Bellom
Länge: 02:16 min
Label: Erato 9029651294 (LP)

weiteren Inhalt einblenden