Zwischenruf

Feindbild-Fasten

von Regina Polak, katholische Theologin und Religionssoziologin

Fasten liegt im Trend. Laut der Fastenumfrage des von Ordensfrauen betriebenen Kurhauses Marienkron will heuer jede zweite Österreicherin, jeder zweite Österreicher Fastentage einlegen. Tatsächlich ist der auf eine gewisse Zeit begrenzte Verzicht auf bestimmte Lebensmittel ein "Gesundheits-Booster". Denn Fasten entgiftet den Körper und stärkt das Immunsystem. Auch Stress und Angst können durch den Nahrungsentzug verringert werden.

Aus religiöser Sicht wird durch diese biopsychischen Prozesse die Möglichkeit für neue, vertiefte spirituelle Erfahrungen eröffnet. Denn die Unterbrechung des gewohnten Lebensstiles durch den Verzicht auf feste Nahrung oder Genussmittel lässt eine Leere spürbar werden, die mit anderem gefüllt werden möchte.

Der Beginn des Fastens ist oft mit unangenehmen Gefühlen, sogar Schmerzen verbunden - die Entgiftung kann zu Muskelschmerzen führen; auch in der Seele können dunkle Gefühle auftauchen. Eine solche Phase durchzustehen kann aber zu einer neuen, nahezu leichten Form der Wahrnehmung und Existenz führen, die aus religiöser Sicht sensibel macht für die Schönheit des Lebens, das Geschenk der Liebe oder gar die Präsenz Gottes. Mit Abnehmen hat Fasten also nur nebenbei zu tun. Entscheidend ist der Wandel des Lebensstiles. Fasten zielt auf eine Stärkung der leibseelischen Gesundheit und die Vertiefung des spirituellen Lebens. All dies durfte ich heuer in einem Kloster im Burgenland selbst erleben.

Beim Spazierengehen kam mir dort der Gedanke, ob man in den nächsten Wochen nicht auch gesellschaftlich eine Art "Fastenkur" probieren könnte. Was würde passieren, wenn viele Menschen aus vielen unterschiedlichen Schichten und Milieus bis Ostern kollektiv auf ihre Feindbilder verzichten würden? "Die Linken", "die Rechten", "die Eliten", "die Reichen", "die Sozialschmarotzer", "die Ausländer" - die Liste an Vorurteilen und Feindbildern ist lange. Und wie mit zu viel Fleisch oder Zucker, vergiftet man mit Feindbildern nicht nur die anderen, sondern maßgeblich sich selbst. Ich stelle mir vor, dass ein solcher Verzicht eine höchst notwendige Entgiftung unserer gesellschaftlichen Atmosphäre wäre. Wir bekämen auch wieder Kraft, die Fülle der anstehenden Probleme kooperativer zu lösen als bisher.

Natürlich bedeutet das nicht den Verzicht auf Kritik. Dort wo Verbesserungsbedarf herrscht, soll das auch deutlich benannt werden. Aber ein "Feindbild-Fasten" würde doch wesentlich dazu beitragen, dass man tief durchatmet und in sich geht, ehe man in die üblichen Schablonen wechselseitiger Vorwürfe verfällt. Mit unangenehmen Gefühlen infolge des Verzichts auf Feindbilder wird wohl auch zu rechnen sein: Wen mache ich nun verantwortlich für meine Ohnmacht, meine Wut, meine Angst, meine Sorgen, wenn ich sie nicht reflexartig dem ideologischen Gegner umhänge?

Aber Neues wäre vielleicht auch zu entdecken: Dass so manches Argument des Gegners durchaus bedenkenswert ist; ja, dass er oder sie vielleicht sogar gute Gründe für seine Sicht der Welt hat? Feindbild-Fasten könnte so den sozialen Zusammenhalt stärken und Brücken wieder neu entstehen lassen, die in den vergangenen Jahren abgebrochen sind.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Franz Schubert
Album: Hans Leygraf: 3 Schubert Recitals - CD2
* Allegretto quasi andantino - 2.Satz
Titel: Sonate für Klavier Nr.4 in a-moll DV 537
Klaviersonate
Solist/Solistin: Hans Leygraf /Klavier
Länge: 06:36 min
Label: Caprice CAP21444 (3 CD)

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