Gedankenfreiheit - eine künstlerische Annäherung

3. März 2023, 13:00

Entweder - oder. Ja oder Nein. Ganz oder gar nicht. Ein philosophischer Allgemeinplatz besagt, dass insbesondere das "abendländische", das "westliche" Denken, seit seinen Wurzeln in der griechischen Antike von Gegensatzpaaren und Bipolaritäten geprägt ist. Dichotomes Denken basiert auf der Ausschließlichkeit von Argumenten und bestimmt deren oft absolut erscheinende Gültigkeit: Das, was richtig ist, kann nicht auch falsch sein! Graubereiche, Zwischentöne und -räume sind im bipolaren Denken nicht vorgesehen. Es geht um Alles oder Nichts.

Besonders drastisch tritt diese Denkweise in polarisierten Gesellschaften zutage, die sich aufgrund multipler Krisen in einem steten Wettbewerb über die Deutungshoheit von Ereignissen befinden. Gibt es in all dem noch Gedankenfreiheit, oder ist jede Position ein Standpunkt, der von dem jeweils anderen Standpunkt als Ideologie gedeutet werden kann oder muss? Diese Frage stellt sich das Theaterfestival "Europa in Szene", das Stücke und Themen neu und aktuell interpretiert: In einer "Don Karlos"-Produktion wird die Frage behandelt, ob es möglich ist, für die Freiheit der anderen zu kämpfen, wenn man selbst in Unfreiheit lebt. Ein Stück von Vaclav Havel spielt nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, wobei in der vermeintlichen Absurdität des Geschehens auch die Gegenwart verhandelt wird. Und in der Theaterserie "Reden!" werden bedeutende historische und zeitgenössische rhetorische Werke vorgetragen - von Jesus von Nazareth über Friedrich Schiller und Ingeborg Bachmann bis hin zu einer Rede von Olga Flor, die unlängst in Wien unter dem Titel Kipppunkte gehalten wurde. Was macht eine besonders gute Rede aus? Vielleicht, dass sich darin Gedankenfreiheit spiegelt?

Die Regieprofessorin und Theatermacherin Anna Maria Krassnigg leitet das Theaterfestival "Europa in Szene" und blickt u.a. in dem internationalen Kunstprojekt "Sea Change" - in dem das Meer für Transformation und Verwandlung steht - weit über den heimischen Tellerrand hinaus. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk begleitet beide Projekte, wobei es auch um eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit neuen Räumen der Kunst geht. Anna Maria Krassnigg und Wolfgang Müller-Funk sind zu Gast bei Andreas Obrecht und diskutieren über die Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Gedankenfreiheit in einer polarisierten Gesellschaft.

Wie immer laden wir unsere Hörerinnen und Hörer ein, sich an der Diskussion zu beteiligen unter 0800 22 69 79 während der Sendung oder per E-Mail an punkteins(at)orf.at

Was meint Gedankenfreiheit eigentlich? Worin besteht der Unterschied zwischen Meinung und Wissen? Welche Rolle kann das Theater für ein besseres Verständnis von und für einen besseren Umgang mit krisenhaften Zeiten spielen? Haben junge Menschen einen grundsätzlich anderen Zugang zur darstellenden Kunst?

Service

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Veranstaltung: "Europa in Szene": Das Theaterfestival der Wortwiege vom 01.03. bis zum 02.04. 2023, Kasematten Wiener Neustadt

Sendereihe

• Punkt eins