Zwischenruf

Brot und Rosen

Ingrid Bachler, Oberkirchenrätin der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich, zum Internationalen Frauentag

In wenigen Tagen, am 8. März, begehen wir wieder den Internationalen Frauentag. Die Tradition des Internationalen Frauentages geht auf die Arbeiterinnenbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Die Kämpfe der Frauen richteten sich damals gegen unzumutbare Wohn- und Lebensbedingungen und gegen die Ausbeutung als Fabrikarbeiterinnen. Der erste internationale Frauentag fand am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Millionen von Frauen beteiligten sich und sangen ihre Kampfeslieder.

1911 forderte die Gewerkschafterin Rose Schneiderman in den USA in ihrer Rede "bread and roses"/"Brot und Rosen" für Arbeiterinnen. Der amerikanische Schriftsteller James Oppenheim nahm dieses Motto in ein Gedicht auf, das er den arbeitenden Frauen widmete. Im Jänner 1912 streikten 14.000 Textilarbeiter:innen gegen Hungerlöhne und Kinderarbeit. Dieser erfolgreiche Streik ging als "Brot-und-Rosen-Streik" in die Geschichte ein. Zum ersten Mal sangen Frauen das Brot-und-Rosen-Lied, das von da an zur "Hymne des Internationalen Frauentags" wurde.

Wenn wir zusammen gehn,
geht mit uns ein schöner Tag,
durch all die dunklen Küchen,
und wo grau ein Werkshof lag,
beginnt plötzlich die Sonne
uns're arme Welt zu kosen,
und jeder hört uns singen
"Brot und Rosen!"

Bis heute ist es wichtig, dass der Internationale Frauentag auf die Situation von Frauen weltweit aufmerksam macht. Als Mitglied im Rat der Evangelischen Kirchen in Europa hatte ich die Möglichkeit, einen Einblick in die Situation der Pfarrerinnen in Ost -und Südeuropa zu bekommen. Bei einer Veranstaltung in Wien konnte ich mit einigen von ihnen sprechen. Karina aus Polen berichtete, dass sie erst vor drei Monaten zusammen mit anderen Frauen ordiniert wurde, obwohl sie alle den Dienst schon seit Jahren ausüben. Nun ist sie in der paradoxen Situation, dass sie plötzlich als neu Auszubildende gilt und einen jungen Kollegen als Vorgesetzten bekommen hat, der sich mit der Aufgabe überfordert fühlt.

Auch die Frage wurde diskutiert, wann es endlich Bischöfinnen in diesen Kirchen geben wird. Manchmal frage ich mich, was es in Österreich früher geben wird: eine Bischöfin in der lutherischen evangelischen Kirche oder eine Dirigentin beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.

"Wir wollen Brot, aber auch Rosen", schrieben die Frauen vor über 100 Jahren auf ihre Fahnen. Brot und Rosen forderten sie. Brot steht für das, was sie zum Leben brauchen, oder besser zum Überleben. Aber das ist zu wenig. Es geht darum: Was mich nährt und glücklich macht. Das Leben ist mehr als "Arbeit, Schweiß und Bauch", wie es in dem Gedicht von James Oppenheim heißt, das sie zu ihrem Slogan inspiriert hat. "Schönheit, Liebe, Kunst" gehören auch dazu. Wir wollen Brot, aber auch Rosen.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Barca Baxant
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Peter Maiwald
Komponist/Komponistin: Renate Fresow
Gesamttitel: RE: COMPOSED
Titel: Brot Und Rosen.
Ausführende: Barca Baxant
Länge: 03:50 min
Label: MA 57 Frauenabteilung der Stadt Wien

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