Zwischenruf

"Lass mich fliegen!"

von Evelyne Faye, Autorin und Filmemacherin

Als meine erste Tochter vor elf Jahren geboren wurde, herrschte eine Stimmung von Trauer, Sprachlosigkeit und Machtlosigkeit, denn sie kam nicht allein auf die Welt -mit ihr kam die Diagnose "Down Syndrom".

Die Ankunft eines Kindes gibt in der Regel Anlass zur Freude, aber im Fall von Emma Lou bekam ich von allen Seiten Beileid und es herrschte etwas von Begräbnisstimmung. Ich fragte mich, wie es wäre, wenn man das kippen könnte: "Wie wäre es, wenn man zunächst einmal im Krankenhaus beglückwünscht wird für ein Kind, das zur Welt gekommen ist? Einfach "Glückwunsch"! - Und dann schauen wir weiter.

Heute habe ich etwas Entscheidendes begriffen - Eine Diagnose allein bestimmt nicht das Leben eines Menschen. Es gibt so viele Möglichkeiten sich zu entwickeln. Dieser bedauernde und trauernde Umgang mit dieser Nachricht war eine sehr einschneidende Erfahrung für mich. Man vergisst beinah auf das Kind, das hinter der negativen Wolke verschwunden ist, die diese Diagnose erzeugt hat. Die Diagnose "Down-Syndrom" hat den ganzen Raum eingenommen.

Emma Lou ist nach der Geburt in ein anderes Spital zur Untersuchung transferiert worden und ist dort über Nacht geblieben. Wir Eltern sind nach Hause geschickt worden und die erste Nacht im Leben meines Babys waren wir voneinander getrennt. Erst als ich am nächsten Tag das Krankenhauszimmer betreten habe, hat sie mich angesehen und nicht mehr aus den Augen gelassen.

Das war ein so starker Moment und von da an konnte ich mir sagen: "Es ist alles gut. Sie wird mir und uns allen den Weg zeigen, wer sie ist, was sie braucht und wie sie sich entwickeln wird." Und nicht eine Diagnose, die uns durch eine unpersönliche, kühle Weise auf einem Krankenhausgang mitgeteilt wurde.

In meinem Film "LASS MICH FLIEGEN" geht es um Glück und um Inklusion. Ich habe mir Gedanken gemacht über die Suche nach dem Glück. Ich habe mich gefragt, ob der Umstand so früh abgestempelt zu werden ein Hindernis für ein glückliches und erfülltes Leben ist und es nicht ein Leben voller Einschränkungen und Eingrenzungen zur Folge hat.

Aus der buddhistischen Lehre gefällt mir die Definition von Inklusion von Pema Chödrön, die sagt: "Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch das Recht hat, gehört zu werden, unabhängig davon, wer er oder sie ist. Wir sollten uns bemühen, uns auf unsere Gemeinsamkeiten zu konzentrieren, anstatt auf unsere Unterschiede."

Es ist wichtig zu erkennen, dass eine inklusive Gesellschaft nicht nur für marginalisierte Gruppen von Vorteil ist, sondern für die gesamte Gesellschaft. Wenn wir alle zusammenarbeiten und uns für eine inklusive Gesellschaft einsetzen, können wir eine Gemeinschaft schaffen, in der sich alle Menschen zugehörig fühlen und ihre Fähigkeiten und Ressourcen zum Wohl der Gemeinschaft beitragen können.

In der christlichen Lehre wird dieses durch das Zitat aus dem Neuen Testament der Bibel, aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser, gezeigt: "Tragt einander mit Liebe und seid darauf bedacht, dass ihr die Einheit des Geistes bewahrt durch das Band des Friedens".

Liebe - Frieden - Glücklichsein! Das wünsche ich meiner Tochter Emma Lou. Das wünsche ich jedem und jeder. Ich bin überzeugt, wenn jedes Kind die gleiche Chance am Beginn seines Lebens bekommt, dann hat man die Basis für eine vielfältigere und dialogfähigere inklusive Gesellschaft geschaffen.

Service

Evelyne Faye
Österreichisches Filminstitut: Lass mich fliegen

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Antonio Vivaldi
Album: IL PASTOR FIDO - 6 SONATEN FÜR FLÖTE UND B.C. op.13 Nr.1 -6
* Pastorale ad libitum - 2.Satz (00:02:52)
Titel: Sonate für Flöte und B.c. in A-Dur op.13 Nr.4
Flötensonate
Solist/Solistin: Maxence Larrieu /Flöte
Solist/Solistin: Robert Veyron Lacroix /Cembalo
Länge: 02:53 min
Label: Denon 7572

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