Kisch und das Dunkel der Städte

28. März 2023, 06:56

Prag ist die Heimatstadt des heimatlosen Journalisten und Feuilletonisten Egon Erwin Kisch. Sohn einer jüdisch-deutschsprachigen Mittelstandsfamilie ist er ein Fremder und zugleich integraler Teil der Stadt.

Was er nächtlings sucht, ist das Andere und Fremde einer alten Stadt, die sich auf dem Weg zur Moderne befindet. Mit seinen Feuilletons kartographiert er sie und ihre Bewohner:innen. "Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an, wenn ich so um fünf Uhr früh beim "Café Kandelaber" mein Frühstück verzehre." Zu diesem Frühstück gehört - als "verteufelt kategorischer Schlusspunkt" einer langen Nacht - "der achtziggradige, mit angenehmen im Magen flammendem Rum vermengte Tee."

"Café Kandelaber", das ist seinerzeit der nicht-amtliche Name für ambulante Teestände, die in Kischs Text als "gastliche Lokomotiven" für Nachtschwärmer bezeichnet werden. Der späte Gast von Polizeistationen und Wärmestuben beschließt die kleine Kulturgeschichte der Teestände im Zentrum der Stadt, nicht selten feindselig von Würstelständen und fahrenden Kaffeehäusern umgeben, mit den Worten: "Es ist fünf Uhr geworden. Schon graut der Tag und dem Leser. Ich muss meine sachlichen Erwägungen schließen, wenn ich noch rechtzeitig zum "Five o´clock tea" ins "Café Kandelaber" kommen möchte."

Im Winter teilt er, Maxim Gorkis Theaterstück "Nachtasyl" im Kopf, die Erfahrung von Obdachlosen, die sich vor der "Gewalt des Frostes" in trostlose Wärmestuben mit Gaslampe und Ofen flüchten, "armseligen Gestalten", Arbeitslose, Pauperisierte oder ehemalige Häftlinge. Mitten unter ihnen der lokale Reporter.

Um sechs Uhr abends rasselt ein Bediensteter der Wärmestube, blaue Schürze und samtener Anzug, mit dem Schlüsselbund zum Aufbruch. Die lange Nacht ist zu Ende, nicht aber das Elend der Menschen, die nun "willenlos" einer weiteren langen bitterkalten Winternacht ausgeliefert sind.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler