Christine Lavant: Mysterium aus der Provinz

6. Juni 2023, 06:56

Christine Lavant - geboren als Christine Thonhauser - kommt aus der tiefsten bäuerlich-katholischen, stark nationalsozialistisch kontaminierten Kärntner Provinz; neuntes Kind einer Bergarbeiterfamilie aus St. Stefan im Lavanttal, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen, Schulabbrecherin aus gesundheitlichen Gründen, chronisch krank, suizidgefährdet, Außenseiterin im Dorf, mit Irrenhaus-Erfahrung, manische Leserin. Strickerin aus Not, die den 36 Jahre älteren Ehemann, einen erfolglosen Maler, miternährte - und die seit 1946 ohne die geringste Berührung mit dem Kulturbetrieb und mit gebildeten Kreisen, scheinbar voraussetzungslos, Gedichte schrieb, die bald in einem Atemzug mit jenen Rainer Maria Rilkes und Georg Trakls genannt wurden.

Sie passte als Person, die keiner Gruppe, keiner Clique, keiner Partei, keiner Tradition angehörte, aber auch mit ihrer Literatur gut zu den Stimmungen und Erwartungen der Zeit. Ihr Auftauchen aus dem Nichts war überraschend und unerklärlich, aber auch unbelastet von Tausendjährigen und anderen Hypotheken. Die unmittelbare Nachkriegszeit war das lyrische Jahrzehnt und Christine Lavants Gedichte erinnerten an literarische Säulenheilige vor dem Sündenfall des Nationalsozialismus. Ihre Gedichte standen damit in einer großen Tradition, aber zugleich auch für einen Neubeginn. Sie war und ist das mysteriöse weibliche Literaturwunder aus der Provinz. Die Zuschreibung ihrer Lyrik zum Katholischen, was nach dem Krieg als Beitrag zu einer austriakischen Wiederauferstehung gedeutet werden konnte, war ein Missverständnis, aber durchaus kein Nachteil für sie.

Service

Christine Lavant, "Ich bin maßlos in allem", ausgewählt und kommentiert von Klaus Amann, Wallstein Verlag
Klaus Amann und Doris Moser (Hg.), "Christine Lavant. Werke in vier Bänden", Wallstein Verlag

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler