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Punkt eins
Dilemmata im Reden über Krieg und Frieden
Narrative, die über Leben und Tod entscheiden
Gast: Gunther Neumann, Historiker, Diplomat, Autor, Vizepräsident des Herbert C. Kelman Institute for Interactive Conflict Transformation
Moderation: Andreas Obrecht
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E-Mails an punkteins(at)orf.at
9. Juni 2023, 13:00
Am 6. Oktober 2022 wurde in Prag die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) gegründet, vergangene Woche trafen sich Staats- und Regierungschefs von 47 europäischen und vorderasiatischen Ländern in der Republik Moldau, um Einigkeit, Solidarität und Beistand für die Ukraine zu demonstrieren. Europas Sicherheitsarchitektur scheint durch den Angriffskrieg desavouiert - welche Strategien und Konzepte sind angemessen und werden über Sicherheit und Wohlstand in Europa mitentscheiden?
Welche Narrative bestimmen den Fortgang der Geschichte, letztlich über Krieg und Frieden? Mit dem Ende des Kalten Krieges" verbreitete sich die große Erzählung vom "Ende der Geschichte". Die Sowjetunion war zerfallen, Frieden und Sicherheit in Europa schienen unlimitiert - eine große Illusion. Narrative begleiten die Restauration imperialer Machtansprüche: Der Westen, die NATO sei dem russischen Bären gefährlich nahegerückt, habe auf russische Sensibilitäten zu wenig Rücksicht genommen, es habe einen Genozid an Russen in der Ostukraine gegeben, und in Kiew herrsche ein neonazistisches Regime. Die Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine werden von dem Narrativ des Stellvertreterkrieges begleitet.
Vielfältige Dilemmata werden sichtbar: Wie umgehen mit Diktatoren, autoritären, gewalttätigen Regimen? Ist Zurückhaltung, Nicht-Einmischung, Neutralität klug oder feige? Ist Unterstützung für ein Land, das von einem Nachbarn überfallen wird, der im Besitz von Atomwaffen ist, ein moralischer Imperativ oder brandgefährlich? Und was bedeutet eigentlich die Aussage, die in vielen Medien zu finden ist: Wenn die Frühjahrsgegenoffensive der Ukrainer nicht erfolgreich sei, dann werde die westliche Unterstützung in Zweifel gezogen?
Die OSZE - die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - sieht ihre Arbeit nach den Jugoslawienkriegen in den 1990er Jahren abermals erschüttert. Welche Kanäle sollen offenbleiben? Wie sieht es mit Friedensbemühungen, Verhandlungen aus und unter welchen Rahmenbedingungen sind die derzeit überhaupt denkbar? Welchen Einfluss hat der Krieg auf die Arbeit der OSZE? Stellt die Gründung der EPG den Versuch dar, Versäumnisse wettzumachen und noch stärker europäische Solidarität - eben auch mit Staaten, die der EU nicht angehören - zu begründen? Und welche Rolle spielt das Narrativ des amerikanischen Unilateralismus im Verhältnis zum chinesischen Multilateralismus, mit dem sich China vor allem in der außereuropäischen Welt beliebt machen will?
Der Historiker, Diplomat und Autor Gunther Neumann hat in zahlreichen Konflikt- und Kriegsgebieten der Welt für internationale Organisationen, für die EU und die OSZE gearbeitet und beschäftigt sich auch als Vizepräsident des Kelman-Institutes mit aktuellen Fragen und Herausforderungen der Konfliktvermeidung und Konflikttransformation. Zu Gast bei Andreas Obrecht analysiert er kriegsbestimmende, auch friedensfördernde Narrative und diskutiert mit den Hörerinnen und Hörern die grundsätzliche Frage, wie eine neue europäische Sicherheitsarchitektur ausschauen könnte.
Wie immer freut sich die Redaktion über die Teilnahme an der Diskussion unter 0800 22 69 79 telefonisch während der Sendung oder per E-Mail an punkteins(at)orf.at.
Service
Sendereihe
Gestaltung
- Andreas Obrecht
Playlist
Untertitel: Steve Reich
Titel: Different Trains_ America, Before the War
Ausführende: Steve Reich Ensemble
Länge: 08:58 min
Label: Nonesuch
Untertitel: Steve Reich Ensemble
Titel: Different Trains_ After the War
Ausführende: Steve Reich Ensemble
Länge: 10:30 min
Label: Nonesuch
Untertitel: Benjamin Britten
Titel: String Quartet no. 2.
Vivace
Ausführende: Amadeus Quartett
Länge: 03:29 min
Label: DECCA