Wut verschwindet nicht einfach so

15. Juni 2023, 13:00

Als "Wutbürger" gehen sie auf die Straßen und protestieren, doch die Grenze zum unhinterfragten Hass gegen einen Sündenbock ist schmal. In Frankreich bricht sich dieser Tage die Unzufriedenheit der Menschen als Zerstörungswut immer wieder Bahn; in sozialen Medien machen Videos randalierender Jugendlicher die Runde. Beschäftigte klagen über cholerische Vorgesetzte, Verkäuferinnen über wütende Kunden, Eltern über Wutanfälle von Kleinkindern und immer wieder liest man in der Chronik, jemand habe ein Verbrechen aus "blinder Wut" begangen.

Wut ist verpönt und doch erlebt jeder Mensch sich selbst oder andere als wütend - sei es in verbaler, psychischer oder physischer Gewalt, passiv-aggressivem Verhalten oder stiller, innerer Aggression. Gerade für Wut gilt: sie verschwindet nicht, nur weil man sie nicht offen zeigt, irgendwo bricht sie heraus - eindrucksvoll in der Sprache: man fährt aus der Haut, rastet aus, explodiert, der Kragen platzt, wenn das Fass überläuft, man muss Dampf ablassen. In den letzten Jahren häufen sich Ratgeber und Wut-Seminare, die diese Energie als "Superkraft" nutzbar machen sollen und mehrere Studien legen nahe, dass unterdrückte Wut als massive Stressbelastung Krankheiten verursacht und mit Depressionen und Angststörungen in Zusammenhang steht.

Schon in der Antike wurde Wut zwiespältig beurteilt: bei Seneca als ungesunde Charakterschwäche, bei Aristoteles als unverzichtbarer Mitstreiterin (nicht Führerin), ohne die nichts durchgesetzt werden kann. In diesem Sinne wird sie auch als genuin politisches Gefühl verstanden.

Wie können wir mit der eigenen Wut, mit der Aggression der anderen und mit dem Zorn in der Gesellschaft umgehen - und wie und wann lernen wir das? Wie lässt sich Wut kommunizieren und angemessen kanalisieren, sodass sie keinen Schaden anrichtet? Und worum geht es eigentlich, wenn Menschen wütend sind?

Die steirische Psychologin Lisa Pongratz arbeitet in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landeskrankenhaus Graz, war als Schulpsychologin tätig und hat in ihrer Serie von Büchern über die Psyche und psychische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter vor wenigen Tagen ein Buch über den Umgang mit Wut und Aggressionen publiziert: "Igelino und der wilde Welpe" (Springer Verlag), ein sachlich aufklärender, enttabuisierender Ratgeber für junge Menschen, Eltern, Lehrende und Angehörige.

Im Gespräch mit Barbara Zeithammer und den Hörerinnen und Hörern von Punkt eins analysiert sie das Gefühl Wut, aggressives Verhalten und unseren Umgang damit, erläutert Risikofaktoren und krankhafte Verhaltensweisen und gibt konkrete Tipps.

"Wut ist ein Sprachrohr für ein unerfülltes Bedürfnis", schreibt Lisa Pongratz und wie immer freuen wir uns über Ihre Beiträge zu diesem Thema unter 0800 22 69 79 kostenfrei aus ganz Österreich oder an punkteins(at)orf.at

Service

Bücher:

Lisa Pongratz: Igelino und der wilde Welpe. Aggressives Verhalten kindgerecht erklärt. Springer Verlag, Juni 2023

Lisa Pongratz: Igelino und der Angsthase. Angststörungen und Phobien kindgerecht erklärt.

Sendereihe

• Punkt eins

Gestaltung

• Barbara Zeithammer