Ein Mann fotografiert ein Gemälde von Artemisia Gentileschi

PICTUREDESK.COM/AP/ANDREW MEDICHINI

Gedanken für den Tag

Artemisia Gentileschi: Lucretia

von Johanna Schwanberg, Direktorin des Dom Museum Wien

Was für ein unglaubliches Bild und was für eine unglaubliche Geschichte! Eine kräftige, muskulöse Frau greift sich mit der einen Hand an die entblößte Brust. In der anderen hält sie einen Dolch. Skeptisch und zugleich forsch richtet sie ihren Blick nach oben. Der gedrehte Körper, die Faltenwürfe und die Hell-Dunkel-Kontraste tragen zur Dramatik dieses Gemäldes bei. Gemalt hat es die Barockmalerin Artemisia Gentileschi in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts. Heute gehört es einer Privatsammlung in Italien.

Das Motiv ist eines der Grauenvollsten der Kulturgeschichte und bis heute leider aktuell: die sexuelle Gewalt an Frauen. Bei der Dargestellten handelt es sich um die mythische Figur der "Lucretia", die aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit gerade seit der Renaissance als Inbegriff der keuschen idealen Ehefrau galt. Denn Lucretia - so die Erzählung - begeht nach einer Vergewaltigung durch einen Kollegen ihres Mannes Suizid, um ihre Ehrhaftigkeit wiederherzustellen. Nicht der männliche Täter, sondern das weibliche Opfer muss in dieser Geschichte mit dem Leben bezahlen. Viele Künstler haben diese Figur dargestellt: etwa Cranach, Veronese, Rembrandt.

Bei Gentileschi bekommt das Bild durch die Biografie der Künstlerin besondere Brisanz. Denn sie selbst ist als junge Frau von ihrem Lehrer, einem Malerkollegen ihres Vaters, vergewaltigt worden. In dem darauffolgenden Prozess hat sich Gentileschi auch noch demütigenden Untersuchungen und Foltermethoden zur Erbringung des Wahrheitsbeweises unterziehen müssen.

Besonders ergreifend finde ich an Gentileschis Lucretia-Bild den Moment des Reflektierens. Die Künstlerin zeigt hier keine passive erotische Frau, die ihr Schicksal ergeben und unhinterfragt hinnimmt, wie wir es von anderen Bildern kennen. Vielmehr sind im Gesicht der Lucretia Angst und Verzweiflung zu sehen. Ist da niemand, der mir hilft, scheint sie zu fragen. Ein Gedanke, der auch heute noch Frauen durch den Kopf gehen mag, wenn Unrecht und Gewalt an ihnen geschieht, ohne dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach 1685 - 1750
Album: BAROQUE FAVORITES: BELIEBTE STÜCKE AUS DEM BAROCK
Titel: Sinfonia in F-Dur - Nr.1 aus der Kantate "Ich steh mit einem Fuß im Grabe" BWV 156
Orchester: English Chamber Orchestra
Leitung: Raymond Leppard
Länge: 02:43 min
Label: CBS MYK 42548

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