Großmutters Garten

23. August 2023, 06:57

Meine Großmutter hat den ganzen Sommer über den Winter im Blick gehabt. Als ehemalige Bäuerin hat sie den hellgrünen Frühling über, in die Fülle des Sommers hinein bis zum goldenen Herbst in ihrem wunderschönen Garten alles gepflegt und geerntet, um ihre Liebsten damit einzukochen - im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich glaube, es gibt kein Obst und Gemüse, das es nicht in ihren Keller geschafft hat. Alle Früchte, von Beeren und Kirschen über Marillen und Holler bis zu den Äpfeln und Zwetschken, wurden zu Marmelade verkocht oder als Kompott eingelegt. Die fein säuberlich zurechtgelegten Gurken, Kürbisse, roten Rüben, Fisolen, Paradeiser und Zwiebel mussten sich in ihre unzähligen Einweckgläser einfinden, die sie sorgfältig ausgekocht und keimfrei gemacht hatte.

Einen würzig duftenden Sud, ein Gebräu aus Essig und Kräutern, goss sie dazu, dieser faszinierte mich ebenso sehr wie das orangefarbene Gummiband, das sie zur Abdichtung oben zwischen Glas und Deckel legte, und an dessen Lasche ich in den kälteren Tagen ziehen würde, um nach einem kurzen Zischen an den reichen Duft und Geschmack des Sommers zu gelangen. Sie war eine Meisterin darin, die Schätze der üppigen Jahreszeit für die kargeren Monate zu bewahren. Mit einem leisen Lied auf den Lippen hielt sie in der größten Ausdehnung des Sommers das bevorstehende Zusammenziehen des Winters in ihrem Bewusstsein.

Während meine Großmutter das Zyklische, das ständige Werden und Vergehen, die Gesetze von Fülle und Leere auf diese Weise geehrt hat, kann ich heutzutage scheinbar mühelos jederzeit alles haben. Wir pfeifen auf den Zyklus und Rhythmus der Natur. Im Supermarkt ist immer Sommer. Da können wir uns an jedem Tag des Jahres vorgaukeln, dass uns fortwährend alles unendlich zur Verfügung steht.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler