Eine jüdische Frau betet am Strand während Rosch Haschana

AP/TSAFRIER ABAYOV

Gedanken für den Tag

Versöhnung und Abschied

Ethel Merhaut, Sängerin, macht sich Gedanken zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana

Kurz nach Rosch Haschana, genau genommen zehn Tage danach, folgt im jüdischen Kalender Jom Kippur, der Versöhnungstag, an dem man sich von seinen Sünden reinwäscht und um Vergebung bittet. Man denkt darüber nach, wie man mit seinen Mitmenschen umgegangen ist und was man womöglich nicht allzu Gutes getan hat und entschuldigt sich dafür.

Man sollte einen Tag lang nicht essen und trinken, sondern eben über seine Sünden nachdenken. Eine sehr effektive Idee, muss ich zugeben - alles auf 24 Stunden komprimiert - und sicher keine schlechte Idee, mal innezuhalten und nachzudenken.

Mit dem Wort Sünde habe ich allerdings so meine Schwierigkeiten, denn tatsächlich sind die tollsten Dinge durch Sünden entstanden - man muss sich nur überlegen, dass wir musikgeschichtlich niemals bei Schönberg und Ligeti angekommen wären, wenn Komponist:innen nicht immer die Grenzen des Erlaubten überschritten hätten. Oder zum Beispiel Wissenschaftler das Gegebene nicht infrage gestellt hätten und sündhafte neue Ideen hervorgebracht hätten, die jetzt unsere Gesellschaft definieren.

Ein wichtiges Gebet zu Jom Kippur heißt Yiskor, bei dem man der Verstorbenen gedenkt. Es gibt dabei eine Regel: Alle, deren beide Elternteile noch leben, verlassen den Gebetsraum. Dieser Teil von Jom Kippur hat mich als Kind immer fasziniert: als ob sich die Menschheit in zwei Kategorien teilen lässt, und als ob - nach Verlassen des Gebetsraum - hinter den verschlossenen Türen eine andere Welt entsteht mit eigenen Regeln.

Zum ersten Mal muss ich mich heuer dieser schmerzhaften Welt anschließen und begreife jetzt, dass sich die Welt tatsächlich unterteilt in jene, die wissen, wie es sich anfühlt, ein Elternteil verloren zu haben und wie glücklich sich jene schätzen können, die vor den Türen verweilen dürfen.

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Henry Love/Fritz Beda
Titel: Das alte Lied
Ausführende: Ethel Merhaut/Belush Korenyi
Label: Eigenverlag/noch nicht veröffentlicht

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