AP/TSAFRIER ABAYOV
Gedanken für den Tag
Traurige Bilanz
Ethel Merhaut, Sängerin, macht sich Gedanken zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana
27. September 2023, 06:57
Als Sängerin, die vor allem Musik aus den 20er und noch mehr 30er Jahren singt, beschäftige ich mich logischerweise viel mit dieser Zeit. Ich denke, jedes jüdische Kind erlebt einen Einschnitt in seiner Kindheit, sobald es das erste Mal vom Holocaust erfährt. Ich kann mich noch gut erinnern. Es war in der Volksschule und ein Junge hatte mir davon erzählt. Ich bin weinend nach Hause gekommen und meine Mutter versuchte mich zu trösten und mir zu erklären, dass es ja schon lange her sei.
Daraufhin entgegnete ich ihr, dass es nicht so lange her sein kann, wenn meine Babu (so nannte ich meine russische Oma) das alles noch als Kind miterlebt hatte. Dieses Argument scheint mir bis heute noch sehr plausibel und tatsächlich wusste meine Mutter damals nichts zu entgegnen.
Erst vor kurzem war ich mit einer Freundin in der Oper und erzählte ihr davon, dass ich eingeladen wurde, meine persönlichen Gedanken auf Ö1 zu äußern, woraufhin sie, als jüdische Pariserin, mir sofort sagte, dass sie niemals öffentlich deklarieren würde, Jüdin zu sein. Da es in Frankreich so unglaublich viel Antisemitismus gäbe und sie Angst hätte, dass ihr etwas geschieht.
Eine traurige Bilanz unserer Zeit, muss ich sagen und auch ich beginne mir langsam Sorgen zu machen, wie es wohl meinen Kindern in der Zukunft ergehen wird. Denn man muss nicht nur nach Frankreich oder nach Deutschland blicken, um Besorgniserregendes zu lesen. Es reicht einen Blick auf unsere Politik und die Wahlprognose zu werfen und mit Erschrecken festzustellen, mit was für einer Selbstverständlichkeit rechte, rassistische, demokratiefeindliche und inkompetente Einstellungen wieder salonfähig geworden sind.
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Abraham Ellstein/Molly Picon
Titel: Oygn
Ausführende: Ethel Merhaut/Bela Koreny/Roby Lakatos/Andreas Ottensamer
Länge: 05:59 min
Label: Gramola 99163