"Wir Kinder der Überlebenden"

17. Oktober 2023, 13:00

"Der leuchtende Stern - Wir Kinder der Überlebenden" hat die Historikerin und Filmemacherin Helene Maimann ihr Erinnerungsbuch überschrieben: "Wir wuchsen auf mit einem leuchtenden Stern über uns, dem roten kommunistischen, dem blauen jüdischen oder beiden. Sind vom Rand der Gesellschaft in ihre Mitte gegangen und haben an ihren Schrauben gedreht. Das Land, in dem wir aufgewachsen sind, hat uns weder Beachtung geschenkt noch Fesseln angelegt", heißt es zu Beginn dieses an Geschichte und Geschichten reich sprudelnden Buches. Geschichten, die auf eigenen Erinnerungen, Gesprächen mit Freunden und Weggefährtinnen, aber vor allem auf der Ergiebigkeit ihres Privatarchivs beruhen - ihr "Rückgrat, sich in die Zeitläufe einzuschreiben".

Helene Maimann, Jahrgang 1947, ist in Wien geboren. Ihre Eltern waren dorthin zurückgekehrt, nachdem sie vor Krieg und nationalsozialistischer Verfolgung nach London geflohen waren. Andere österreichische jüdische Familien wurden zu Displaced Persons, überlebten im Exil in Moskau oder als so genannte Schindler-Juden im Schutz des Industriellen und Judenretters Oskar Schindler. Wieder andere als todesmutige Kämpfer und Kämpferinnen in alliierten Armeen gegen ein Regime, das Europa mit Angst und Schrecken, Besatzung und Vernichtung überzog. Oder sie hatten Bergen-Belsen, Maly Trostinez und Mauthausen überlebt.

Vertrackte - häufig vor den eigenen Kindern verschwiegene - Lebensläufe, zu denen die nächste Generation erst ein Verhältnis finden musste. Und gleichzeitig zur Stadt Wien, wo im Herbst 1945 "zweihunderttausend Juden niemandem abzugehen scheinen", wie Maimann schreibt.

Für ihre eigenen Eltern, überzeugte Kommunisten, war das Sprechen über ihre jüdische Identität tabu. Zufällig lüftete ein Freund am Strand von Rimini das Geheimnis gegenüber der Neunjährigen, dass sie Juden seien: Die lässig hingeworfene Bemerkung war für sie "wie ein Flash aus dem Sommerhimmel".

Helene Maimann hat in Wien einige wegweisende Ausstellungen organisiert, hat für den ORF viele Dokumentarfilme gedreht und wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

"Der leuchtende Stern" ist ein "Buch der Freundschaft mit biografischen und autobiografischen Texten" geworden, schreibt Maimann am Schluss. Über Künstler Arik Brauer, den Kulturmanager Edek Bartz, den Philosophen André Glucksmann, den "Drahdiwaberl"-Gründer Stefan Weber, den Lyriker Erich Fried, den Schriftsteller Robert Schindel und viele andere, ihr wichtige Menschen.

Doch Maimann schreibt auch über sich selbst: ihre Konflikte mit den linientreuen Eltern, ihre Leidenschaft für Filmklassiker wie "Casablanca" und "Some like it hot", über Glückserlebnisse und Enttäuschungen.

Was ist geblieben von den Visionen der kämpferischen Eltern von einer besseren sozialistischen Welt? Wie blickt Helene Maimann heute auf ihr Land, dessen "Paragraf 1 der österreichischen Seelenverfassung lautete: Wir waren nicht dabei"? Und wie auf Bruno Kreisky, dem sie auf dem Buchcover kritisch und interessiert in die Augen schaut?

Wie immer sind Sie eingeladen, sich an der Sendung zu beteiligen. Kostenlos aus ganz Österreich können Sie uns unter 0800 22 69 79 erreichen; oder Sie schreiben uns ein Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Helene Maimann: Der leuchtende Stern. Wir Kinder der Überlebenden. Zsolnay 2023


Veranstaltungshinweise, Lesetermine

Sendereihe

• Punkt eins

Gestaltung

• Alexander Musik