Rauchfang am Dach

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Punkt eins

"Ich heize, also bin ich"

Die Geschichte der Brennstoffe in der Literatur und in der Philosophie. Gast: Susanne Stephan, Germanistin, Schriftstellerin. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

"Der Process der Geschichte ist ein Verbrennen", bemerkte einst Novalis und die deutsche Schriftstellerin Susanne Stephan ergänzt: "Und der Fortschritt, wie wir heute sehen, ein fortschreitendes Einheizen." Dieser "Fortschritt" hat gerade wieder eine Bestätigung erfahren: Die Welt versagt beim Klimaschutz, bilanziert der soeben publizierte UN-Bericht zu den Klimazielen aller Länder kurz vor Beginn der 28. Weltklimakonferenz. Die Treibhausgase erreichen ein neues Rekordhoch, und Hunderte Unternehmen planen, neue Ölquellen und Gasfelder zu erschließen.

Haben wir, als wir die Heizung in den Kessel im Keller und in den Fußboden verlegt haben, uns nicht mehr ums Einheizen kümmern mussten und uns das Feuer in künstlichen Kaminen oder auf Bildschirmen ins Haus holen konnten, auch das Bewusstsein für das "Verbrennen" verloren?

"Was jahrhundertelang konkreter, schmutziger, Brennstoff war, ist weitgehend unsichtbar geworden; Erdöl, Erdgas, elektrischer Strom, alles, was unser Leben erleuchtet, wärmt, in Bewegung hält, fließt ihm in geschlossenen Leitungen zu", notiert Susanne Stephan in ihrem Buch "Der Held und seine Heizung" und fasst den Zugang der Moderne zum Thema Heizen nüchtern so zusammen: "Ins Bewusstsein dringen die heute wesentlichen Brennstoffe erst, als plötzlich Mangel herrscht und eine spürbare Verteuerung einsetzt".

Susanne Stephan, aufgewachsen unter verrußtem Himmel im Ruhrgebiet und neben einem Atomkraftwerk, spürt in ihrem 450 Seiten umfassenden Buch den Brennstoffen der Literatur vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach. Sie sitzt mit dem studierten Bergfachmann Novalis über dem Kohlenfeuer, mit Hawthorne gleichermaßen behaglich wie unbehaglich in der guten Stube und mit Thoreau in seiner Hütte im Wald. Sie klagt mit Lichtenberg, um die "schwarze Sonne" des Zimmers kreisend, über den "ewigen Krieg" gegen die Wälder, wandert mit Goethe, Leiter der Weimarer Bergwerkskommission, durch entwaldete Regionen, steigt mit Zola in das Elend der Kohlearbeiter hinab und fischt mit Melville auf dem Walfänger auch dramatischen Stoff für eine zeitgenössische US-amerikanische Literatur. Bei Rilke findet sie "die stärksten Bilder für das untergründige Wirken der Brennstoffe in unserem Leben" und bei Bloch heute als wahrwerdende Alpträume skizzierte Utopien, wenn es da heißt: mit "einigen hundert Pfund Uranium" könne man "Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera" verwandeln.

Wohin Susanne Stephan in ihrem Essayband schaut: überall finden sich nicht nur Spuren der Brennstoffe, sondern auch Zeugnisse für ihre reale, soziale, politische, psychische Macht - die sich bis in die Sprache und das Erzählen an sich erstreckt: wenn es einen Ort gibt, wo sich die Sprache und das Erzählen entwickelten, dann war es die Feuerstelle.

Susanne Stephan, studierte Germanistin und Historikerin ist selbst ein "Kind des Petro-Zeitalters", der Vater war Physiker in einem Atomkraftwerk, dort zuständig für Strahlenschutz und Reaktorsicherheit, ein Dosimeter hing im Apfelbaum im heimischen Garten. Sie hat die Ölkrisen ebenso miterlebt wie die wachsenden Zweifel am großen "Verbrennungsmotor" Fortschritt und als im heurigen Frühjahr in Deutschland die letzten Atommeiler stillgelegt wurden und damit das Brummen, der von Kernenergie betriebenen Turbinen, einst "Sound der Zukunft", verstummte, fragte sie:

Wie wird man durch die Art der Energie geprägt, welche das eigene Leben begleitet? Wie wird man nur in fünfzig, in hundert Jahren über unsere Zeit urteilen? Und wie schnell endet das Verbrennungszeitalter?

Diskutieren Sie mit über das "große Verbrennen" und seine Folgen - ein "Kamingespräch" aus einer neuen Perspektive: Sie erreichen uns telefonisch während der Sendung unter 0800 22 69 79 oder schriftlich unter punkteins(at)orf.at

Service

Susanne Stephan: Der Held und seine Heizung. Brennstoffe der Literatur. Matthes & Seitz Verlag, 450 Seiten. 2023

Homepage von Susanne Stephan

Susanne Stephan: "Am Abklingbecken der Utopie"

Winterprognose: Heizkosten zwischen Krisen und Zuversicht

"Turner. Three Horizons" im Lenbachhaus in München

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer

Playlist

Untertitel: Antonin Dvorak
Titel: String Quartet, B. 152
* VII. No Tempo Indication
Ausführende: Stamitz Quartet
Länge: 02:06 min
Label: EMI

Untertitel: Antonin Dvorak
Titel: Rondo in G Minor, Op. 94, B. 171
* Allegretto grazioso
Ausführende: Pieter Wispelwey & Paolo Giacometti
Länge: 07:09 min
Label: Brilliant

Untertitel: Antonin Dvorak
Titel: String Quartet No. 14 in A-Flat Major, Op. 105
* molto Vivace
Ausführende: Vlach Quartet Prague
Länge: 07:01 min
Label: EMI

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