Elbphilharmonie Hamburg

THIES RÄTZKE

Das Ö1 Konzert

Vergessener Schatz und helle Musik für dunkle Zeiten

NDR Elbphiharmonie Orchester, Dirigent: Jukka-Pekka Saraste. Daniel Müller-Schott, Violoncello; Roland Greutter, Violine. Édouard Lalo: Konzert für Violoncello d-Moll op. 35; Johan Halvorsen: Passacaglia für Violine und Violoncello auf ein Thema von Händel; Jean Sibelius: Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 43 (aufgenommen am 26. März in der Elbphilharmonie Hamburg)

In Vergessenheit geratener Schatz

Zum 1877 uraufgeführten Violoncellokonzert von Édouard Lalo hat der 1976 in München geborene Cellist Daniel Müller-Schott eine besondere Beziehung. Im Alter von14 Jahren studierte er es an der Hochschule für Musik und Theater München. Sein Lehrer, Walter Nothas, der bei André Navarra studiert hatte, war von der französischen Violoncellotradition geprägt. Eines der zentralen Werke seines Unterrichts was das Lalo-Konzert, mit dem Müller-Schott im Alter von 15 den Tschaikowsky-Jugend-Wettbewerb in Moskau gewinnen konnte. Einen in Vergessenheit geratenen Schatz nennt Müller-Schott das Lalo-Konzert. Das liege vielleicht daran, dass es "für alle Beteiligten nicht leicht" sei. Mit seinen geradezu opernhaft emotionalen Szenen verlange das Konzert vor allem "schnelle Reaktionen und Wachheit, um es überzeugend über die Bühne zu bringen."


Ein Wiener an der Elbe

Der Konzertmeister des NDR Elbphilharmonie Orchesters, das 1945 als Orchester des Norddeutschen Rundfunks gegründet wurde, ist seit 1982 der Wiener Roland Greutter. Er sei einer der besten und gewissenhaftesten Konzertmeister, die er kenne, hat der 96-jährige Dirigent Herbert Blomstedt mir im Sommer erzählt. Nach 41 Jahren Orchesterdienst ging Greutter mit Ende der Saison 2022/23in Pension. Aus diesem Anlass ließ sich Daniel Müller-Schott eine Würdigung einfallen. Als Zugabe spielt er mit Roland Greutter eines der am öftesten gespielten Werke eines norwegischen Komponisten: Johan Halvorsens "Passacaglia auf ein Thema von Händel" (im Original für Violine und Viola).


Helles Werk für dunkle Zeit

Jährlich 20- bis 30-mal dirigiert der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste die 2. Symphonie von Jean Sibelius. Sie sei dessen "populärste Symphonie". Grund? "Sie ist die hellste und freundlichste" der sieben Symphonien sei. "Gerade in dunklen Zeiten" sei dieses Werk wichtig. Erste Skizzen entstanden im Februar 1901:"Bin umgeben von blühenden Rosen, Mandelbäumen, Kakteen, Agaven, Beeren, Magnolien, Zypressen, Wein, Palmen und Blumenpracht." Von Februar bis April arbeitete der 37-jährige Sibelius in Rapallo am Golf von Tigullio. Im Tagebuch identifiziert er sich am 11. Februar mit Mozarts Don Juan: "Ich sitze im Schloss im Dämmerschein - ein Gast - ich frage, wer es ist - keine Antwort - versuche ihn zu unterhalten, keine Antwort, schließlich beginnt er zu singen - Don Juan bemerkt, wer der Gast ist - der Tod." Mozarts "steinerner Gast" als Symbol des Todes. Später gesellt sich eine leichte, lichte Notenfolge hinzu, die er "Christus" tauft und die als Kontrast des Don Juan-Themas dient. Die Uraufführung der Symphonie Anfang März 1902 in Helsinki wurde ein Triumph. Es kam zu drei Wiederholungen binnen weniger Tage. Die Symphonie wurde als Deklaration finnischer Unabhängigkeitsbestrebungen verstanden. Sibelius bestritt dies energisch.
Der 1. Satz erinnert zunächst an eine pastorales, fast formloses Tongemälde, doch baut er auf einem Ur-Motiv aus drei Noten auf. Die aufsteigenden Töne machen vielfältige Wandlungen durch - absteigend, auf den Kopf gestellt, anders rhythmisiert oder harmonisiert, im 3. Satz werden sie zum Vivacissimo beschleunigt, und im Finale wird aus dem dreistufigen Grundmuster, in immer neuen Klangfarben, das Fundament des triumphalen Hymnus. Der finnische Dirigent Osmo Vänskä versteht das Werk als Echo der Krise und deren Überwindung, als archetypische Entwicklung vom Dunkel zum Licht. Der Anfang müsse leicht gespielt werden, nur ja keine Tiefsinnigkeit, und der 2. Satz nicht zu getragen. "Im Finale muss man das Pathos dämpfen", man müsse nur Sibelius folgen, der für den Satzbeginn bloß "forte" fordert. "Es gibt ohrenbetäubende Aufführungen mit einem fast unerträglichen Ende - da gehen die Details der `Klangarchitektur' verloren."

Service

Volker Tarnow, Sibelius. Biografie, Bärenreiter 2015.
Andrew Barnett, Sibelius, Yale University Press 2010.
Tomi Mäkelä, Jean Sibelius, Poesie in der Luft. Studien zu Leben und Werk, Breitkopf & Härtel 2007.
Peter Kislinger, Jean Sibelius: Die Symphonien Nr. 2 und 3. In: Hartmut Krones, Jean Sibelius und Wien, Böhlau 2003.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Edouard Lalo/1892 - 1955
Titel: Konzert für Violoncello und Orchester in d-moll
* Prélude: Lento - Allegro maestoso - 1.Satz
* Intermezzo: Andantino con moto - 2.Satz
* Introduction: Andante - Allegro vivace - 3.Satz
Cellokonzert
Solist/Solistin: Daniel Müller-Schott /Violoncello
Orchester: NDR Elbphilharmonie Orchester
Leitung: Jukka-Pekka Saraste
Länge: 27:45 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Johan Halvorsen/1864-1935
Vorlage: Georg Friedrich Händel/1685-1759
Bearbeiter/Bearbeiterin: Michael Press /Arrangement/1871-1938
Titel: Passacaglia für Violine und Violoncello nach dem 6.Satz aus Händels Suite für Cembalo Nr.7 in g-Moll (orig. für Violine und Viola)
Solist/Solistin: Daniel Müller-Schott / Violoncello
Solist/Solistin: Roland Kreuter / Violine
Länge: 06:35 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Jean Sibelius/1865 - 1957
Titel: Symphonie Nr.2 in D-Dur op.43
* Allegretto - 1.Satz
* Tempo andante, ma rubato - 2.Satz
* Vivacissimo - 3.Satz
* Finale : Allegro moderato - 4.Satz
Orchester: NDR Elbphilharmonie Orchester
Leitung: Jukka-Pekka Saraste
Länge: 42:00 min
Label: EBU

weiteren Inhalt einblenden