"Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen"

22. Dezember 2023, 06:57

In einer alten chassidischen Geschichte fragte der Schüler seinen Lehrer: Warum haben die Menschen früher Gott gesehen, heute aber nicht mehr? Darauf die Antwort des Rabbi: Weil sich niemand mehr so tief bücken mag. Diese Geschichte hat auch etwas mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest zu tun. Gott bückt sich. Er macht sich klein, wird Mensch, ja sogar ein Kind.

Nicht nur Gottbegegnung, auch menschliches Zusammenleben kann nur gelingen, wenn es Menschen gibt, die bewusst auf Hochnäsigkeit, Hochmut und den Willen zur Macht verzichten und stattdessen in einer Geste der Demut die anderen höher einschätzen als sich selbst. Solidarität, Mitmenschlichkeit und in letzter Konsequenz auch das friedvolle Miteinander entstehen aus dieser Logik des bewussten Verzichtes, immer und überall Stärke zeigen zu müssen.

Von diesem Gedanken ist es zum Propheten Jesaja nicht weit. Er hat das Zusammenleben von Starken und Schwachen in ein utopisches Bild gefasst, das für sich spricht und keiner weiteren Auslegung bedarf: "Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. (...)

Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus. Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie die Wasser das Meer bedecken." (11,6-9)

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler