Aussteigen bitte!

29. Dezember 2023, 06:57

Eigentlich ist das Verhältnis von Anfang und Ende ja unfair. Zumindest künstlerisch. Jedes Ende braucht einen Anfang. Der Anfang allerdings nicht zwingend ein Ende.

Ich selbst habe zahllose Texte, Lieder, Nummern, Theaterstücke, Konzepte und weltbewegende Projekte zu Hause, die zwar einen Anfang haben . aber kein Ende. Vor Jahren hatte ich zum Beispiel mal die Idee, einen Film über Endstationen zu machen. Zusammen mit dem Fotografen Sepp Dreissinger wollte ich die Endstationen Wiens filmisch erkunden. Wir haben es auch angefangen, und uns zahllose traurige Endhaltestellen im Nirgendwo angesehen, aber nie fertig gemacht. Wir haben sozusagen offene Endstationen hinterlassen.

Obwohl so eine Fahrt mit Straßenbahn, U-Bahn oder Bus ja auch eine gute Metapher fürs Leben selbst ist. Man steigt ein, es wird voller, enger, lauter, irgendwann hat man das Maximum an Menschen im Waggon erreicht, Manchmal wird auch die Waggon-Besetzung fast komplett ausgetauscht, weil Menschenmassen in Kompaniestärke ein und aussteigen, bei der Station am Weihnachtsmarkt, bei der Einkaufsstraße, beim Stadion, bei der Bibliothek. Nein, Scherz, bei der Bibliothek nicht.

Aber beim Weihnachtsmarkt schon. Da werden die im Waggon, die unbedingt Alkohol, Fett und Zucker zu sich nehmen wollen, durch jene ausgetauscht, die bereits mit Alkohol, Fett und Zucker erfolgreich abgefüllt sind. Dann fährt die Bahn weiter, wird langsam leerer und bis zur Endstation ist es wieder sehr einsam im Waggon. Und dann heißt es: Ende. Aussteigen. Ob man will oder nicht. Dem Leben nicht unähnlich.

Nur der Jahreskartenbesitzer hat das Recht auf Wiedergeburt erworben und darf noch eine Runde drehen. Aber wie oft macht das Spaß, dieselbe Strecke zu fahren? Das nervt doch mit der Zeit. Vielleicht muss man sich Wiedergeburt als eine sehr subtile Form der Strafe vorstellen. Oder anders gesagt: Wer sitzt denn - vor allem im Winter - ewig in den öffentlichen Verkehrsmitteln herum? Obdachlose und andere Menschen, die nicht wissen, wohin. Endstation heißt also auch: ankommen.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler