Aus den Wolken gefallen

18. Jänner 2024, 06:57

Ich greife im Gespräch gerne Redewendungen auf, die Menschen benutzen, um ihre Situation noch genauer zu beschreiben. Zum Beispiel: Ich habe die Nase gestrichen voll. Was will oder kann mein Gegenüber nicht mehr riechen? Was muss raus, um wieder Luft zu bekommen?

Das liegt mir so im Magen, drückt für mich die Schwere, das Unverdauliche aus und fragt nach Entlastung, nach Loslassen. Ich habe ein Gedächtnis wie ein Sieb. Hinschauen auf das, was im Sieb bleibt. Unlängst kam ein Mann zum Gespräch, der aus allen Wolken gefallen ist. Seine langjährige Beziehung ist auseinandergegangen, die Erwartungen und Vorstellungen über die gemeinsame Zukunft sind zu weit auseinandergelegen, meinte seine Partnerin. Also hat sie ihn verlassen, von heute auf morgen. Nun saß er da, der vor mir aus den Wolken Gefallene.

Ich stelle mir seine Fallen vor und frage nach: Fallen Sie noch? Auf welchem Boden sind Sie gelandet? Welche Verletzungen haben Sie und wo? Dann kann ich in die Erstversorgung übergehen und kläre ab, ob die Grundbedürfnisse wie ausreichender Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten und Kontakt zu Freundinnen und Freunden oder zur Familie gut abgedeckt sind.

Der Blick auf das ganz Alltägliche und Notwendige schafft Struktur und Struktur gibt Halt und Orientierung. Sie hilft, den Fall zu verlangsamen, vielleicht zu stoppen und ermöglicht eine sanftere, sicherere Landung. Dann ist auch der Blick auf die Verletzung, auf die Kränkung, auf den Verlust möglich. Für den jungen Mann hat das Fallen aufgehört und der Weg in eine neue Zukunft begonnen. Trotz allem.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler