Tilman Tuppy und Karl Markovics

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Ö1 Hörspiel

"Andreas" - ein Romanfragment von Hugo von Hofmannsthal

Zum 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal gilt es einen radikalen, aber kaum bekannten Text dieses konservativen Modernisten und literarischen Alleskönners neu zu entdecken.

Hofmannsthal war schließlich nicht nur das junge Lyrikgenie, der Dramatiker des "Jedermann" oder der Librettist von Richard Strauss.

"Andreas" ist sein einziger, Fragment gebliebener Roman, an dem er von 1907 bis 1927 gearbeitet hatte. Hier dekliniert Hofmannsthal die Verlassenheit des Menschen ohne Gott durch und beschreibt den Verlust der Ich-Identität über eine ins Schizophrene gleitende Selbstwahrnehmung. Der komplexe Charakter der Wirklichkeit wirkt bedrohlich und Schein und Sein gleiten bei Hofmannsthal dämonisch ineinander. Es sind Themen, die die Décadence- und Fin de Siècle-Literatur um 1900 exquisit und explizit auszeichneten. Dabei nutzt Hofmannsthal zugleich alle Formen des Romans. Er oszilliert souverän und suggestiv zwischen klassisch und auktorial erzähltem Bildungs- wie Heimatroman, psychologischem Erzählen, Lustspiel, einer an Kafka erinnernden personalen Erzählerhaltung. Dann wieder greift er auf den von Arthur Schnitzler eingeführten inneren Monolog zurück und kombiniert ihn mit Szenen sowie symbolisch-poetischer Naturbeschreibung. Dabei bleibt vieles aus der inneren Logik des Stoffes nur Fragment, muss fragmentarisch bleiben. Nach Freuds "Traumdeutung" und Einsteins "Relativitätstheorie" und den sozialen revolutionären gesellschaftlichen Verwerfungen ist das Heterogene als Signatur moderner Erfahrung im 20. Jahrhundert nicht mehr zusammenzufügen. Darum weiß Hofmannsthal. Das historische Setting hat er jedoch bewusst im 18. Jahrhundert angesiedelt, um Distanz zu schaffen. Es geht aber um Erfahrungen, die auch heute gelten: um die existenziellen Nöte eines jungen Bildungsreisenden, dessen Weg von Wien nach Venedig führt. Dort wird er mit den Abgründen von Niedertracht, Gewalt, sozialem Abstieg, Ich-Dissoziation konfrontiert - und mit dem irritierenden Faszinosum Sexualität.

Das Hörspiel nutzt hauptsächlich, nur um einige Passagen aus den Nachlass-Notizen erweitert, die Textfassung aus dem Jahr 1913 nach der historisch-kritischen Ausgabe.

"Andreas". Hörspiel nach dem gleichnamigen Romanfragment von Hugo von Hofmannsthal. Mit Karl Markovics, Tilman Tuppy, Dörte Lyssewski, Markus Hering u.a., Bearbeitung: Manfred Hess und Ruthard Stäblein, Komposition: Cathy Milliken und Dietmar Wiesner, Regie: Ulrich Lampen (Produktion SWR/ORF 2024, mit freundlicher Unterstützung des Freien Deutschen Hochstifts - Premiere)

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