Hugo von Hofmannsthal

Hugo von Hofmannsthal - BILD ARCHIV AUSTRIA

Gedanken für den Tag

Brief des Lord Chandos

Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal

Als junges Genie, als frühvollendeter Dichter setzte Hugo von Hofmannsthal seine Zeitgenossen in Erstaunen, auch große Schriftsteller, die deutlich älter waren als er - Arthur Schnitzler zum Beispiel. Doch so plötzlich und selbstverständlich die Gedichte aus ihm hervorzuquellen schienen, so unerwartet verschwanden sie auch wieder - nach dem Jahr 1900 hat er praktisch keine Gedichte mehr geschrieben; da war er gerade 26 Jahre alt.

Doch im Jahr 1902 verfasste Hofmannsthal seinen folgenreichsten und bis heute am meisten interpretierten Text: den fiktiven Brief eines ebenso fiktiven Lord Chandos an den englischen Naturwissenschaftler und Philosophen Francis Bacon, datiert mit dem 22. August 1603. Darin erklärt der Lord, warum er, der einst gefeierte Dichter, seit zwei Jahren verstummt sei. Er schreibt: "Mein Fall ist in Kürze dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhandengekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen." Von den abstrakten Worten sagt Lord Chandos: sie "zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze". Dem Lord zerfällt, wie es heißt "alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen."

Als Beginn der Thematisierung der Sprache in der österreichischen Literatur wurde Hofmannsthals Brief des Lord Chandos bezeichnet, ja sogar als eine Gründungsurkunde der literarischen Moderne. Sicher ist, dass Lord Chandos gegen Francis Bacon, den Begründer der modernen Naturwissenschaft, der instrumentellen Wissenschaftssprache ein poetisches Verhältnis zur Welt entgegensetzt.

Mir bedeutet Hofmannsthals Brief des Lord Chandos sehr viel, weil er Phrasen wie "eine Sprache beherrschen" oder "über eine Sprache verfügen" als völlig falsch entlarvt. Gerade wenn ich schreibe oder übersetzte, erfahre ich, dass ich weder über meine sogenannte Muttersprache verfüge noch über eine andere, sondern mich oft den Worten überlassen muss, die auf mich zukommen.

Service

Hugo von Hofmannsthal, "Der Brief des Lord Chandos", Verlag Reclam


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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Richard Strauss 1864 - 1949
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Hugo von Hofmannsthal 1874 - 1929
Gesamttitel: ARIADNE AUF NAXOS, op.60 / Oper in einem Akt mit Vorspiel / Gesamtaufnahme / 1.Teil
Titel: 1. Orchestereinleitung (00:02:25)
VORSPIEL
Leitung: James Levine
Orchester: Wiener Philharmoniker
Solist/Solistin: Anna Tomowa Sintow
Solist/Solistin: Agnes Baltsa
Solist/Solistin: Kathleen Battle
Solist/Solistin: Gary Lakes
Solist/Solistin: Hermann Prey
Solist/Solistin: Otto Schenk
Solist/Solistin: Ewald Aichberger
Solist/Solistin: Heinz Zednik
Solist/Solistin: Günter von Kannen
Solist/Solistin: Alfred Sramek
Solist/Solistin: Urban Malmberg
Solist/Solistin: Josef Protschka
Solist/Solistin: Kurt Rydl
Solist/Solistin: Hans Sojer
Solist/Solistin: Barbara Bonney
Solist/Solistin: Helga Müller Molinari
Solist/Solistin: Dawn Upshaw
Solist/Solistin: Dennis Giauque
Länge: 02:25 min
Label: DG 4192252 (2 CD)

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