APA/DPA/JULIAN STRATENSCHULTE
Punkt eins
Kekse sind das neue Kokain?
Mit Suchtmedizin gegen Übergewicht: Warum hochverarbeitete Lebensmittel wie Drogen wirken können und was daraus folgt. Gäste: Dr. Iris Zachenhofer, Psychiaterin, Klinik Penzing & Prim. Dr. Shird Schindler, Psychiater, Vorstand Zentrum für Suchtkranke in der Klinik Penzing und Leiter der Abteilung für forensische Akutpsychiatrie in der Klinik Hietzing. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
7. Februar 2024, 13:00
Sie sind nahezu überall verfügbar, günstig und legal und können nachweislich süchtig machen, so sehr, dass Forschende aus aller Welt fordern, sie auch als Suchtmittel und Drogen zu bezeichnen. Doch im aktuellen Drogenbericht wird man sie nicht finden: hochverarbeitete Nahrungsmittel.
Was ist damit gemeint? Können Kekse die gleiche Wirkung haben wie Kokain? Wie können Lebensmittel abhängig machen? Welche haben das größte Suchtpotenzial, wie entsteht unkontrolliertes Essverhalten und braucht es einen Entzug?
Fertigpizza, Burger, Chips und Frühstücksflocken, Kuchen und Cookies, Nuggets, Eis - es geht nicht nur um gängiges Fastfood und Junkfood: in der Wissenschaft spricht man von "hyperschmackhaften", ultraverarbeiteten Lebensmitteln. Industriell erzeugte Produkte werden inzwischen weltweit als Hauptursache für Übergewicht angesehen und können den Körper in mannigfacher Weise schädigen und das Gehirn verändern; sie lassen es schrumpfen, schädigen das Immunsystem langfristig, fördern psychische Erkrankungen, beschleunigen das Altern - und können ebenso süchtig machen wie zum Beispiel Nikotin. Doch der Suchteffekt von Lebensmitteln fehlt in vielen Büchern, Debatten und in der Gesellschaft, stattdessen dominiert das Mantra: selbst schuld, wenn man nicht widerstehen kann.
Der Wille reicht nicht, sich gegen eine süchtig machende Substanz zu wehren, sagt Iris Zachenhofer: "Wäre der freiwillige Verzicht so einfach, würde es sich schließlich gar nicht um eine Suchterkrankung handeln." Die ausgebildete Neurochirurgin und praktizierende Fachärztin für Psychiatrie an der Klinik Penzing in Wien beschäftigt sich gemeinsam mit Dr. Shird Schindler seit vielen Jahren mit den neurologischen Hintergründen von Übergewicht, mit Suchtmechanismen und der Frage, was man dem unstillbaren Verlangen (Craving) entgegensetzen kann.
In Zusammenarbeit mit Shird Schindler, Vorstand am Zentrum für Suchtkranke in der Klinik Penzing und Leiter der Abteilung für forensische Akutpsychiatrie in der Klinik Hietzing, hat Iris Zachenhofer soeben ein neues Buch publiziert: Raus aus der Suchtfalle Lebensmittel - Suchtpotenzial erkennen. Selbstbestimmt essen. Gewicht reduzieren. (edition a)
Darin erläutern die beiden Suchtmediziner den aktuellen Stand der Forschung, beschreiben eine einfache Klassifikation für Lebensmittel, skizzieren zentrale Abläufe im Gehirn, erklären eindrücklich die Komplexität des Essverhaltens und schildern, wieso und wie mit bewährten Methoden der Suchtmedizin Menschen geholfen werden kann. Ohne jegliche Verbote oder Maßregelungen, wie man sie von Diäten kennt, weisen sie Möglichkeiten der Selbstbehauptung gegenüber Suchtfallen bis zur "Königsdisziplin des kontrollierten Konsums".
"Vielleicht die beste Botschaft dieses Buchs: Eine echte Pizza ist ein köstliches und gesundes Gericht aus natürlichen Zutaten, und wir müssen nicht auf sie verzichten."
Ihr Zugang erschöpft sich nicht in Anregungen zur Selbstreflexion und der präzisen Analyse von Glaubenssätzen, Herausforderungen (auf Essen kann man nicht verzichten und es begegnet uns überall) und Erwartungen. "Forscher auf der ganzen Welt, die sich mit Ernährung und Sucht befassen, fordern eine bessere Kennzeichnung hochverarbeiteter, süchtig machender Lebensmittel, da diese ganz ähnliche gesundheitliche Schäden anrichten wie der Konsum von Tabak." Auch über eine Kennzeichnung hinaus ist die Politik gefordert, schreiben die Suchtmedizinerin und der Psychiater: es gilt dringend bei Werbung und Marketing anzusetzen, allen voran, wenn Kinder die Zielgruppe sind, und die strukturelle und soziale Dimension stärker in den Blick zu nehmen. Hochverarbeitete Lebensmittel sind billig, viele Menschen sind darauf angewiesen.
Was charakterisiert hochverarbeitete Nahrung und was ändert sich, wenn wir sie als Suchtmittel begreifen? Woran bemerkt man, ob man süchtig ist? Und was weiß die wissenschaftliche Forschung heute über die "richtige" Ernährungsweise?
Iris Zachenhofer und Shird Schindler sind Gäste bei Barbara Zeithammer und Sie, unsere Hörerinnen und Hörer, sind wie immer herzlich eingeladen, sich an der Sendung zu beteiligen, Ihre Fragen zu stellen und Ihre Erfahrungen und Eindrücke mit uns zu teilen. Kostenlos aus ganz Österreich können Sie unter 0800 22 69 79 live während der Sendung anrufen und mitreden oder Sie schreiben uns ein E-Mail an punkteins(at)orf.at
"Wo sind Ihre Fallen? Welche hochverarbeiteten Lebensmittel stehen Ihnen im Weg? Und wie könnten Sie sich Ihr Leben und Ihre gesunde Ernährung einfacher machen?"
Service
Buch:
Dr. Iris Zachenhofer & Dr. Shrid Schindler: Raus aus der Suchtfalle Lebensmittel - Suchtpotenzial erkennen. Selbstbestimmt essen. Gewicht reduzieren. edition a, Februar 2024
Zum Thema aus der aktuellen Forschung:
Übergewicht kann Baby schaden
Raus aus der Suchtfalle Lebensmittel. Ein Gastbeitrag von Iris Zachenhofer und Shird Schindler auf science.orf.at
Sendereihe
Gestaltung
- Barbara Zeithammer
Playlist
Urheber/Urheberin: Paolo Conte
Titel: Gelato al limon
Ausführender/Ausführende:
Paolo Conte
Länge: 04:30 min
Label: Universal
Urheber/Urheberin: Carl Coccomo
Titel: The Rigatoni Song
Ausführender/Ausführende:
Carl Coccomo
Länge: 02:35 min
Label: EMI
Urheber/Urheberin: Wertmüller & Nino Rota
Titel:
Viva la pappa col pomodoro
Ausführender/Ausführende: Rita Pavone
Länge: 01:55 min
Label: RCA