Rumänischer Minenarbeiter mit Helm und Dollarschein als Protest

AP/VADIM GHIRDA

Punkt eins

Paralleljustiz im Verborgenen

Wenn Konzerne Staaten verklagen. Gäste: Ass.-Prof. Dr. Gabriel M. Lentner, Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Donau Universität Krems & Filip Boras, LL.M, Partner bei Baker McKenzie und Leiter der Arbitration Practice. Moderation: Alexander Musik. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Es ist einer von Hunderten spektakulären Fällen, bei denen nicht selten das Schicksal von Staaten auf dem Spiel steht: Kürzlich ging vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington ein Prozess zu Ende, der 2015 begonnen hatte: Damals hatte der kanadische Konzern Gabriel Resources den Staat Rumänien geklagt. Es ging um eine Entschädigung für (behauptete) Investitionen und entgangene Renditen im Zusammenhang mit einem geplanten Tagebau-Goldschürfprojekt in der rumänischen Region Rosia Montana. Gabriel Resources verlangte 6,7 Milliarden US-Dollar von Rumänien.

Denn gefördert wurde das Gold nie. Nicht zuletzt wegen lang anhaltender Umweltproteste von Aktivist:innen, die befürchteten, der Tagebau zerstöre die einzigartige Bergbaulandschaft Rosia Montanas.

Nun hat das Schiedsgericht nach einem neunjährigen Prozess sein Urteil zu Gunsten Rumäniens gefällt - und das Land, das bereits von einer Niederlage ausging, atmet auf. Denn die Summe hätte den Staatshaushalt ins Wanken gebracht. Jetzt muss der kanadische Bergbaukonzern eine Millionensumme an Gerichtskosten und Schadensersatz an Rumänien zahlen.

Der Fall Gabriel Resources vs. Romania ist nur einer von Hunderten Fällen, die noch der Beilegung durch das ICSID-Tribunal, ein Instrument der Weltbank, harren. Wobei noch nicht einmal alle anhängigen Verfahren überhaupt bekannt werden. Immer sind es Konzerne, die gegen einen Staat klagen. Und immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit der Folge, dass Gerüchte über den Ablauf der Verfahren und die Objektivität der Schiedsgerichte umso heftiger ausfallen. Immerhin lassen sich seit einiger Zeit die Prozessprotokolle (teilweise geschwärzt) online nachlesen.

ICSID, das International Centre for Settlement of Investment Disputes, hat den Ruf, vor allem die Interessen von Investoren, weniger die von Staaten zu schützen. Investoren, die in der Regel nichts mehr fürchten als etwa die Verabschiedung von drastischen Umweltauflagen oder Enteignungen durch den Staat. Umweltauflagen, die etwa den schwedischen Energiekonzern Vattenfall gleich in zwei Fällen dazu gebracht hatten, nach den ICSID-Spielregeln gegen die Bundesrepublik Deutschland zu klagen.

Bis heute haben 158 Staaten die ICSID-Konvention, die 1965 gegründet wurde, unterzeichnet. Wer mit dabei ist, signalisiert potenziellen Investoren ein gewisses Maß an politischer Stabilität. Kommt es doch zum Streit, verhandeln Investor und Staat vollkommen abseits von dessen Justizapparat. Dennoch ist das Urteil des Schiedsgerichts bindend, so als wäre es von einem nationalen Höchstgericht ausgesprochen worden.

Damit nicht genug: Weigert sich der unterlegene Staat, fällige Strafzahlungen zu entrichten, darf der Investor auf Besitztümer dieses Staates weltweit zugreifen, jedenfalls theoretisch. Zudem fällt auf den Staat, der sich quer stellt, ein ungünstiges Licht; Investoren werden ihn eher meiden.

Kritiker der ICSID-Konvention weisen regelmäßig auf die Intransparenz der hinter verschlossenen Türen geführten Verfahren hin. Durch Umgehung der nationalen Justiz untergraben sie zudem das rechtsstaatliche Procedere, so der Vorwurf und knebeln Staaten, die sich aus Angst vor einem milliardenschweren Schiedsverfahren nicht mehr trauen, ihre Gesetzgebung eigenständig zu gestalten.

Wie ungleich sind die Gegner vor dem Schiedsgericht? Wie unabhängig können Schiedsgerichte sein? Wie läuft ein Schiedsgerichtsverfahren ab?

Alexander Musik spricht mit Ass.-Prof. Dr. Gabriel M. Lentner vom Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Donau Universität Krems und Filip Boras, LL.M, Partner bei Baker McKenzie und Leiter der Arbitration Practice.

Wie immer sind Sie eingeladen, sich an der Sendung zu beteiligen. Kostenlos aus ganz Österreich können Sie uns unter 0800 22 69 79 erreichen oder Sie schreiben uns ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Hörtipp:

Rumäniens Zeitreise in die Gegenwart: Das südosteuropäische Land ist noch immer mit der Aufarbeitung der Revolution beschäftigt.
Journal Panorama, Mittwoch, 20. März, 18:25 Uhr

Sendereihe

Gestaltung

  • Alexander Musik

Playlist

Urheber/Urheberin: Benni Chawes
Titel: Confessions of a Crime
Ausführender/Ausführende: Benni Chawes
Länge: 05:07 min
Label: Stunt Records

Urheber/Urheberin: Jean-Philippe Viret
Titel: Justice
Ausführender/Ausführende: Jean-Philippe Viret, Sébastien Surel, David Gaillard & Eric-Maria Couturier
Länge: 06:06 min
Label: Melisse Music

Urheber/Urheberin: Stephen James Giddings
Titel: White Collar Crime
Ausführender/Ausführende: Stephen James Giddings
Länge: 03:16 min
Label: Polydor

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